„Deutschland muss sein Geschäftsmodell neu ausrichten“

Beitrag von: Andreas Knoch
30. August 2020

Die Corona-Pandemie sorgt für Strukturveränderungen in der deutschen Wirtschaft, sagt Jürgen Michels, Chefvolkswirt der BayernLB. Vor allem traditionelle Branchen, auf denen sich unser Wohlstand gründet, seien gefährdet.

Herr Michels, die deutsche Wirtschaft hat im zweiten Quartal einen beispiellosen Einbruch erlitten. Doch mehr als der Blick in den Rückspiegel interessiert, wie es weitergeht.

Jürgen Michels: Dem heftigen Konjunktureinbruch wird, gestützt durch die staatlichen Konjunkturprogramme, eine deutliche Erholung folgen. Wir sind zwar für 2020 optimistischer als der Konsens, erwarten aber auch keinen V-förmigen Aufschwung. Allerdings ist die Kurzfristbetrachtung nur eine Seite der Medaille. Die Corona-Pandemie sorgt für Strukturveränderungen in der deutschen Wirtschaft, die langfristiger Natur sind.

Mit welchen Veränderungen rechnen Sie?

JM: Als direkte Auswirkungen von Corona sehen wir Veränderungen beim Nachfrage- und Konsumverhalten der privaten Haushalte. Digitale Vertriebskanäle gewinnen stark an Bedeutung. Parallel dazu wird die Risikoaversion zunehmen. Aus Sorge um den Arbeitsplatz dürfte bspw. die Sparquote vieler Privathaushalte steigen. Eine weitere Folge sind häufigere politische Interventionen.

Was heißt das?

JM: Wir erleben eine Renaissance des starken Staates. Die wegen Covid-19 aufgelegten Hilfs- und Konjunkturprogramme erhöhen den staatlichen Einfluss auf die Wirtschaft entweder über direkte Staatsbeteiligungen oder über an Auflagen gebundene Förderungen und Investitionszuschüsse. Hinzu kommen höhere regulatorische Anforderungen, etwa im Gesundheitswesen. Darüber hinaus wird es eine Beschleunigung bei den zuletzt die Wirtschaft dominierenden Themen Digitalisierung und Dekarbonisierung geben.

An der Rolle des Staates entzündet sich Kritik. Ist diese Kritik berechtigt oder haben die gigantischen Konjunkturpakete das Schlimmste verhindert?

JM: Auch wenn einige Details diskussionswürdig sind, erachte ich die staatliche Unterstützung in der Corona-Krise insgesamt als richtig. Die Kombination von Geld- und Fiskalpolitik wird die Konjunktur beleben. Und letztendlich geht es bei den Interventionen ja auch darum, dass aus der Gesundheitskrise, die im Zuge des Lockdowns auf die Wirtschaft durchschlägt, nicht auch noch eine Finanzkrise entsteht. Das Engagement des Staates im Unternehmenssektor über direkte Beteiligungen – Beispiel Lufthansa – ist jedoch problematisch. Der Staat ist keinesfalls der bessere Unternehmer. Im Hinblick auf die Innovationsfähigkeit kann das fatal sein.

Halten die Rettungsprogramme überholte Geschäftsmodelle künstlich am Leben?

JM: Diese Gefahr besteht. Für den Moment ist es wichtig, dass wir eine große Insolvenzwelle vermeiden. Doch wenn sich die Lage stabilisiert hat, brauchen wir eine Bereinigung. Die Kunst wird sein, bei der Normalisierung der Ausnahmetatbestände mit Augenmaß vorzugehen, um einen zweiten Wirtschaftseinbruch zu vermeiden.

Sie haben untersucht, wie sich die Corona-Pandemie auf Branchenebene auswirkt. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

JM: Es gibt Verlierer und Gewinner. Die Luftfahrt, der Tourismus und die klassische Automobilindustrie, mithin CO2- intensive Branchen, gehören zu den Verlierern. Gewinner sind die Informationstechnologie – hierzu zählen wir auch den Maschinen- und Anlagenbau, sofern er sein klassisches Geschäftsmodell auf digitale Dienstleistungen ausdehnt –, erneuerbare Energien und das Gesundheitswesen.

In etlichen Branchen, die nach Ihrer Meinung langfristig profitieren, ist Deutschland kein Weltmarktführer. Was heißt das für den Wohlstand hierzulande?

JM: Deutschland muss sein Geschäftsmodell neu ausrichten. Wir haben über viele Jahre von der Globalisierung und von einem wachsenden Welthandel profitiert. In beiden Punkten schwingt das Pendel aber nun zurück. Das war schon vor Corona zu beobachten, doch die Pandemie wirkt für Protektionismus und rückläufigen Welthandel wie ein Brandbeschleuniger. Wir müssen neue, wachstumsstarke Märkte erschließen – nicht nur regional, sondern auch thematisch.

Wie meinen Sie das?

JM: Bspw. durch eine stärkere Ausrichtung auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit – Ziele, die nicht nur an die Covid-19-Konjunkturprogramme und -initiativen geknüpft sind, sondern von der Politik und von Investoren eingefordert werden. Die Berücksichtigung dieser Ziele sehen wir heute schon in den Finanzierungskonditionen oder der Besteuerung.

Werden wir eine Rückverlagerung der Produktion nach Deutschland oder Europa sehen, wie es zuletzt von der Politik insbesondere für die Gesundheitsbranche gefordert wurde?

JM: Ja. In vielen Firmen ist die Analyse der Wertschöpfungsketten sowie der Produktionsprozesse und ihrer Schwachstellen in vollem Gang. Regional nahe und vor allem sichere Wertschöpfungsketten sowie eine verstärkte Automatisierung – letztendlich die Reduktion des Faktors Mensch – werden künftig ein stärkeres Gewicht in betriebswirtschaftlichen Entscheidungen haben. Die Firmen werden auch ihre Lieferanten und Abnehmer stärker diversifizieren, um Abhängigkeiten zu reduzieren. Preisliche Wettbewerbsfähigkeit ist nicht mehr alles. Dadurch beschleunigt sich der Trend zur Deglobalisierung.

Ein Ergebnis der Krisenhilfen sind stark steigende Schulden. Können wir aus dieser Verschuldung wieder herauswachsen?

JM: Da bin ich eher skeptisch. Um die Schuldenlast zu stemmen, werden wir auf Jahre hinaus niedrige Zentralbankzinsen haben. Damit einher gehen die Gefahr von Preisblasen und infolgedessen ein fragiles Finanzsystem. Überlegungen, die höhere Verschuldung über Steuern schnell abzubauen, halte ich für schwierig, da sie die konjunkturelle Entwicklung deckeln.

Foto: BayernLB

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