„Eine Familienverfassung stärkt den Zusammenhalt“

Beitrag von: Ulrike Lüdke
26. Januar 2021

Die Familiencharta regelt die Rechte und Pflichten der Unternehmerfamilie. Der Weg dorthin kann allerdings beschwerlich sein. Warum sich ein Familienkodex dennoch lohnt und wie der Prozess aussehen kann, erklärt Dr. Axel Wenzel von Oppenhoff im Interview.

Herr Dr. Wenzel, immer mehr Unternehmerfamilien geben sich eine Familienverfassung. Was bringen diese Regelwerke?

Axel Wenzel: Die Familienverfassung formuliert das Selbstverständnis der Familie und deren unternehmerische Mission. Sie schafft so einen moralisch verbindlichen Regelungsrahmen, der den Zusammenhalt der Familie und damit die Überlebensfähigkeit des Familienunternehmens stärken soll. Wir unterscheiden hier zwischen den drei Regelungsbereichen Family Governance, Corporate Governance und Business Governance.

Was verstehen Sie darunter?

AW: Die Family Governance regelt das Miteinander der Familie im Hinblick auf das Familienunternehmen. Dazu gehören die Kommunikation und der Umgang mit Konflikten sowie Fragen wie: Wer gehört im engeren Sinne zur Familie? Wie geht die Familie mit Risiken um? Und wie wird die nachfolgende Generation auf ihre Gesellschafteraufgaben vorbereitet?

Die Business Governance legt die Grundsätze verantwortungsvoller Unternehmensführung in der Geschäftsordnung und im Gesellschaftsvertrag fest. Sie ist Bestandteil der Corporate Governance, konzentriert sich aber auf die Führung des Unternehmens, während die Corporate Governance auf die gesellschaftsrechtliche Struktur ausgerichtet ist.

Welche Themen sind die schwierigsten?

AW: Das kommt ganz auf die Familie an. Erfahrungsgemäß werden aber die Fragen, wer zur Unternehmerfamilie gezählt wird, wer nachfolgeberechtigt sein soll und welche Qualifikationen die Nachfolgekandidaten mitbringen müssen, besonders emotional diskutiert. Die Wertvorstellungen der Nachfolgergeneration sind heute nicht selten ganz andere als die ihrer Eltern und Großeltern.

Besteht nicht die Gefahr, dass schwelende Konflikte erst richtig aufbrechen und Unangenehmes auf den Tisch kommt?

AW: Ich sehe das eher als einen Vorteil dieses Prozesses. Die Entwicklung auf dem Weg zur Familienverfassung ist fast von größerer Bedeutung als die Familienverfassung selbst. Verborgene oder potenzielle Streitpunkte in der Familie werden frühzeitig aufgedeckt und Kompromisse gesucht. Wenn diese Konflikte erst im Erbfall durchbrechen, wird es extrem schwierig, eine Einigung zu finden.

Wie läuft so ein Prozess ab, an dessen Ende die Familienverfassung steht?

AW: Sowohl die Familienverfassung als auch der Weg dorthin sind für jede Familie sehr individuell. Der Prozess sollte moderiert und von einem interdisziplinären Spezialisten-Team angeleitet werden. Zudem ist es gut, wenn beide Geschlechter und verschiedene Altersklassen im Beraterkreis vertreten sind. Zunächst wird den beteiligten Familienmitgliedern Wissen über die Bedeutung einer Familienverfassung vermittelt, dann werden die Rollen verteilt und die Berater ausgewählt. Mithilfe von ausgefeilten Fragenkatalogen werden Einzelinterviews geführt. So entwickeln die Berater ein sehr gutes Verständnis davon, wie die Familie tickt. Im Rahmen von Workshops, Diskussionen und Mediationen werden dann die einzelnen Punkte der Familienverfassung ausgearbeitet und formuliert. Am Ende wird nach einer vorab festgelegten Abstimmungsmethode abgestimmt.

Wo kommen Sie ins Spiel?

AW: Nach meinem Verständnis sollten sich die Juristen zunächst aus dem eigentlichen Erstellungsprozess eher raushalten bzw. sich auf Vorbereitung, Erklärungen und die Lösung bestimmter Probleme beschränken. Die eigentliche Arbeit der Juristen beginnt dann dort, wo es um die Umsetzung der unverbindlichen Regelungen in rechtlich bindende Regelungen geht. Dies ist besonders wichtig im Hinblick auf Gesellschaftsverträge, Gesellschaftervereinbarungen (inkl. Poolvereinbarungen), die letztwilligen Verfügungen, sowie Geschäftsordnungen und Anstellungsverträge von Vorständen bzw. Geschäftsführern usw. Sind nicht alle Verträge aufeinander abgestimmt, kann dies schlimme Folgen haben.

Welche Rolle können die Unternehmervertrauten in diesem Prozess übernehmen?

AW: Die Rechtsanwälte, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer der Unternehmerfamilien geben häufig den Anstoß für eine Familienverfassung und helfen bei der Suche nach den passenden Beratern. Sie begleiten den Prozess und füttern die externen Berater mit wichtigen Informationen und Hintergrundwissen über das Unternehmen und die Familie. Wenn Schlichtungen notwendig werden, treiben sie als Unternehmervertraute häufig den Prozess voran. Zudem achten sie auf die Umsetzbarkeit der Regelungen.

Was passiert, wenn sich einzelne Familienmitglieder querstellen?

AW: Für den Erfolg des Prozesses ist es sehr wichtig, alle beteiligten Familienmitglieder abzuholen. Wenn Einzelne sich nicht beteiligen wollen, sollten mit der Hilfe der Berater die Ursachen dafür ergründet und die Sorgen genommen werden. Das Ziel sollte immer sein, einen Kompromiss zu finden. Liegt ein unlösbarer Konflikt zugrunde, kann man nach Lösungen für eine geordnete Trennung suchen.

Wie lange dauert so ein Prozess?

AW: Das ist sehr unterschiedlich. In der Regel dauert die Entwicklung einer Familienverfassung zwischen drei Monate bis zu einem Jahr. Allerdings ist keinem geholfen, wenn die Familienverfassung danach in einer Schublade verschwindet. Sie muss auch gelebt werden. Das bedeutet, ihre Einhaltung muss überwacht werden und alle paar Jahre sollte überprüft werden, ob die getroffenen Regelungen noch passen oder überarbeitet werden sollten.

Foto: Oppenhoff

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