„Whistleblowing ist Haftungsprävention“

Beitrag von: Ulrike Lüdke
18. Januar 2021

Die „EU-Whistleblower-Richtlinie“ hat das Ziel, Whistleblower besser zu schützen und verpflichtet Unternehmen, Hinweisgebersysteme einzurichten. Dr. Jens Hausmanns von der Anwaltskanzlei Aulinger über die Ziele und Auswirkungen der Richtlinie, Vorteile von internen Hinweisgebersystemen und die Rolle der Unternehmervertrauten.

Herr Dr. Hausmanns, durch die „EU-Whistleblower-Richtlinie“ sollen Mitarbeiter, die Verstöße gegen Unionsrecht in Unternehmen und Organisationen anzeigen, besser geschützt werden. Deutschland muss diese Richtlinie bis Ende nächsten Jahres umsetzen. Was kommt auf die Unternehmen zu?

Jens Hausmanns: Die Richtlinie hat die Intention, Mindeststandards für den Schutz von Hinweisgebern zu etablieren und diese vor Repressalien zu schützen. Hierdurch werden zukünftig rechtliche Unwägbarkeiten für Hinweisgeber, die Gesetzesverstöße bzw. Missstände melden, minimiert. Unternehmen mit 50 oder mehr Mitarbeitern werden zudem verpflichtet, ein internes Meldesystem für Hinweisgeber und Verfahren zur Bearbeitung von eingehenden Hinweisen zu etablieren. Die Mindestanforderungen an diese Kanäle legt bereits die EU-Richtlinie fest. Innerhalb von sieben Tagen muss eine Eingangsbestätigung an den Whistleblower erfolgen und spätestens nach drei Monaten muss über Folgemaßnahmen berichtet werden.

Viele größere Unternehmen haben doch bereits Whistleblower-Meldesysteme als Bestandteil ihrer Compliance eingerichtet.

JH: Das ist richtig. Allerdings haben mittelständische Unternehmen in Deutschland hier noch Nachholbedarf. Zudem bietet das deutsche Recht aktuell keinen umfassenden Schutz des Whistleblowers. Ein aktuelles Beispiel zeigte sich in einem Schlachtbetrieb in NRW: Der Mitarbeiterin eines Subunternehmens wurde fristlos gekündigt, nachdem sie ein Video, das wohl Verstöße des Schlachtbetriebs gegen die Corona-Verordnungen zeigte, öffentlich gemacht hatte. Nach der Whistleblower-Richtlinie wird die Beweislast umgekehrt, d.h., dass die Unternehmen nachweisen müssen, dass keine Repression für eine konforme Meldung vorliegt. Für die Mitarbeiterin wäre nach der zukünftigen Rechtslage auch eine externe Meldung (an die zuständigen Behörden) bereits im ersten Schritt rechtlich zulässig. Die sofortige Offenlegung gegenüber der Allgemeinheit bleibt jedoch das letzte Mittel.

Aus Sicht der Unternehmer ist der Weg über betriebsinterne Compliance-Systeme allerdings der bessere.

JH: Dem stimme ich mit dem Blick auf die Praxis zu. Ein Compliance-System funktioniert nur dann, wenn es überhaupt eine entsprechende Compliance-Haltung im Unternehmen gibt. Compliance muss gelebt und in die täglichen Abläufe integriert werden. Wichtig ist, dass die Mitarbeiter und – sofern vorhanden – der Betriebsrat in die Prozesse frühzeitig einbezogen werden. Der Gleichlauf von internen und externen Meldekanälen, den die Richtlinie vorsieht, wird für die Unternehmen eine nicht zu unterschätzende Anreizwirkung haben, überzeugende interne Kanäle zu schaffen. Zudem bedarf es einer entsprechenden Unternehmenskultur, die Mitarbeiter ermutigt, von dem Angebot auch Gebrauch zu machen. Whistleblowing wird häufig noch eher negativ gesehen, obwohl es ein wirkungsvolles Mittel zur Haftungsprävention für die Unternehmen sein kann.

Die EU-Richtlinie beschränkt sich allerdings lediglich auf Verstöße gegen EU-Recht.

JH: Das ist den Rechtsetzungsbefugnissen geschuldet. Wir gehen allerdings davon aus, dass der deutsche Gesetzgeber den Anwendungsbereich auch auf wesentliche Rechtsgebiete des deutschen Rechts ausdehnen wird, sonst könnte ein besserer Schutz von Hinweisgebern in Deutschland kaum erreicht werden. Dies bedeutet allerdings gleichzeitig erhebliche Eingriffe in das bestehende Recht, z.B. in das Arbeitsrecht, das Gesellschaftsrecht und den Datenschutz.

Wie sieht ein Whistleblowing-System in einem Unternehmen aus?

JH: Viele Unternehmen benennen interne oder externe Ombudspersonen. Neben Whistleblowing-Hotlines sind E-Mail-Adressen Standard, über die die Mitarbeiter mit den Ombudspersonen korrespondieren können. Gerade zur Umsetzung der neuen Anforderungen aus der Richtlinie, wonach die Identität des Whistleblowers zu wahren ist, bieten sich digitale Hinweisgeber-Plattformen an, die 24/7 erreichbar sind. Die Mitarbeiter können in diesem System zwischen verschiedenen Sprachen und Bereichen wählen sowie Dokumente und Medien hochladen. Wir haben in unserer anwaltlichen Praxis festgestellt, dass die Hemmschwelle für Whistleblower bei digitalen Plattformen deutlich niedriger ist, da der Hinweisgeber selbst entscheiden kann, ob er anonym bleiben möchte oder nicht.

Wie können die Unternehmervertrauten ihre Mandanten hier unterstützen?

JH: Zunächst einmal können sie den Unternehmer bzw. die Geschäftsleiter auf die zukünftig geänderte Pflichtenlage aufmerksam machen und darüber aufklären, wie ein Whistleblowing-System zukünftig aussehen muss. Welche Pflichten ergeben sich aus der Umsetzung der Richtlinie? Welche Meldekanäle gibt es? Welche eignen sich für das konkrete Unternehmen und dessen Compliance-Risikoprofil? Im nächsten Schritt können sie bei der Umsetzung und der Integrierung eines Hinweisgebersystems beratend unterstützen.

Foto: Aulinger

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