Rechtsberatung im Dilemma

Beitrag von: Andreas Knoch
22. Juni 2022

Mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine haben sich viele Sozietäten aus Russland zurückgezogen. Kanzleiberater Markus Hartung über die ethischen Grenzen anwaltlicher Beratung und die Auswirkungen auf einen Berufsstand, dem CSR-Kriterien immer wichtiger werden.

Herr Hartung, seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine haben viele internationale Kanzleien ihr Geschäft in Russland auf Eis gelegt oder sich komplett aus dem Land zurückgezogen. Die Kanzleien, die bleiben, sind unter Rechtfertigungs­druck. Neben den rechtlichen Fragen hat die Entscheidung „Bleiben oder Gehen?“ auch eine ethische Dimension. Inwieweit bin ich als Anwalt meinen Mandanten verpflichtet und wann sage ich Nein?

Markus Hartung: Die Gründe der Kanzleien, Russland zu verlassen, sind unterschiedlich. Einige hatten schon vor dem Ukraine-Krieg zugemacht. Andere wollten damit eine politische Bot­schaft senden. Die Haltung zu sagen, wir arbeiten nicht mehr in einem Land, das sich aus der Weltgemeinschaft verabschiedet, dessen Regierung massive Kriegsverbrechen duldet und unter weitreichenden Sanktionen steht, ist sehr respektabel.

Doch damit erschöpft sich die Thematik nicht. Denn abgesehen von staatsnahen Unternehmen sind viele Kanzleien auch für deutsche oder europäische Unternehmen und deren russische Tochtergesellschaften tätig. Selbst wenn die Kanzleien es wollten: Rechtlich wäre es schwierig, jegliche Arbeit mit Bezug zu Russland einzustellen. Für die meisten Unternehmen bedeutet die aktuelle Situation in Russland eine akute Krise mit hohem Beratungsbedarf, und wenn sich über Nacht die Anwälte verabschieden würden, käme schnell die Frage auf, ob das berufsrechtlich in Ordnung wäre. Zudem kann die Niederlegung eines Mandats zur Unzeit Schadenersatzansprüche verursachen.

Der Ethikausschuss des Deutschen Anwaltvereins hat die Anwälte dazu aufgefordert, Haltung zu zeigen. Aber ist es nicht gerade die Aufgabe von Rechtsanwälten, jedem Mandanten zu seinem Recht zu verhelfen, unabhängig von seiner Nationalität oder Branche?

MH: Das ist das ewige Dilemma der Anwaltschaft. Es gehört zur Aufgabe der Anwaltschaft, für Personen oder Unternehmen zu arbeiten, die in der Öffentlichkeit als inakzeptabel gelten. Wir hätten ein systemisches Problem, wenn Anwälte das nicht mehr machen würden. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Grundprinzipien der Vereinten Nationen zur Rolle von Rechtsanwälten: Demnach darf der Anwalt wegen der Wahrnehmung seiner Aufgaben gerade nicht mit seinen Mandanten oder den Angelegenheiten seiner Mandanten identifiziert oder gar in Mithaft genommen werden. Würde Anwälten Komplizenschaft vorgeworfen, könnten bestimmte Mandanten gar nicht mehr vertreten werden. Letztendlich ist es trotzdem eine individuelle Entscheidung, ob ein Anwalt tätig wird oder nicht. Es ist ein freier Beruf.

Mit Blick auf den Ukraine- Krieg und die Russland-Sanktionen: Wann sage ich als Anwalt einem Mandanten gegenüber denn nun Nein?

MH: Bei genauer Betrachtung gibt es so viele verschiedene Fallkonstellationen, dass sich das nicht mit einer einzigen Antwort lösen lässt. Ein allgemeines Ge- oder Verbot lässt sich für die Anwaltschaft daher nicht aufstellen. Bei Mandanten, die nicht von den Sanktionen erfasst sind, könnte sich eine Kanzlei die Frage stellen: „Leiste ich mit meiner Beratung einen Beitrag, dass Russland seinen Krieg weiterführt?“ – und entsprechend entscheiden. Das ist im Einzelfall schwierig. Einfach ist es bei einer Beratung zu scheinbaren Schlupflöchern bei Sanktionsregelungen, also gestaltender Rechtsberatung: Das ist verboten. Eine Beratung, die sich auf Vergangenes bezieht, auch wegen Sanktionsverstößen, sollte für Anwälte hingegen immer möglich sein. Umgekehrt kann eine Beratung, die in die Zukunft gerichtet ist, die Grenzen des ethisch Vertretbaren überschreiten.

Durch den Ukraine-Krieg wird das Thema „Kanzleien und ihre Verantwortung in der Gesellschaft“ nun in der Öffentlichkeit diskutiert. Dabei ist Corporate Social Responsibility (CSR) in der Kanzleiwelt schon länger ein Thema. Wie wird das in den Kanzleien bislang gelebt?

MH: Angesichts der wachsenden Bedeutung der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen in der öffentlichen Diskussion und des Umstandes, dass Mandanten zunehmend auf deren Einhaltung achten, kommen Kanzleien an dem Thema nicht mehr vorbei. Wenn man sich die Anwaltschaft ansieht, so lässt sich gleichwohl jeder von seinem persönlichen Moralkompass leiten. Es läuft auf eine individuelle Entscheidung hinaus. Ein Marktstandard hat sich noch nicht herausgebildet.

Für Wirtschaftskanzleien gelten da sicher noch einmal besondere Maßstäbe. Sie stehen häufiger vor der Frage, ob sie – mit Blick auf das Reputationsrisiko – bestimmte kritische Mandate annehmen oder nicht. Das hat neben der ethischen auch eine ganz eigennützige wirtschaftliche Dimension: denn Mandanten stellen Fragen danach und Kanzleien brauchen eine Antwort. Das gilt auch beim Recruiting: Viele Bewerberinnen und Bewerber fragen, was Kanzleien in den Bereichen CSR oder ESG tun. Kanzleien, die keine Antwort geben können, haben einen schweren Stand.

Foto: The Law Firm Companion

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