„Rechtzeitig die Notbremse ziehen“

Beitrag von: Thomas Spengler
20. Oktober 2022

In vielen Kanzleien sind der Druck und die Arbeitsbelastung hoch. Zudem entspricht „Schwächeln“ nicht dem Selbstbild der leistungsbereiten Juristen. Gerade deshalb ist das Thema Burn-out in den Kanzleien oft noch ein Tabu. Psychologin und Business Coach Diane Manz erklärt, welche Warnsignale es gibt und wie sich gegensteuern lässt.

Frau Manz, in jedem Job ist es irgendwann mal stressig. Wann wird es zu viel?

Diane Manz: Wenn ich an einer interessanten Aufgabe drei Tage lang durchgearbeitet und am Ende mein Ziel erreicht habe, kann das ein tolles Gefühl hinterlassen – abgekämpft, aber glück­lich. Wenn ich aber das Gefühl habe, den Anforderungen nicht gewachsen zu sein, kann sich schnell ungesunder Stress breitmachen. Wichtig ist es, die Warnsignale zu erkennen und sich des Themas aktiv anzunehmen. Stressmanagement fängt im Kopf an – es braucht das Bewusstsein, dass man selbst in der Pflicht ist, für sich zu sorgen. Selbst diejenigen, die mit Spaß an die Sache rangehen, können im Burn-out landen, wenn sie sich keine Pausen gönnen. Denn eins muss man sich klarmachen: Der Körper gewinnt immer.

Was bedeutet das?

DM: Stress hat vielerlei Auswirkungen, die sich auf der körperlichen, der mentalen, der emotionalen und der Verhaltensebene niederschlagen. Wenn der Stress ungesund wird, kann sich dies u.a. in Herz-Kreislauf-Beschwerden oder einer grundsätzlich höheren Anfälligkeit gegenüber Krankheiten äußern. Auch ein Hörsturz, Bluthochdruck und Schlafstörungen sind typische Folgen, einhergehend mit eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten. Flapsig ausgedrückt: Wenn Dauerfeuer herrscht, ist es dem Organismus irgendwann einmal zu viel.

Alles Vorboten eines Burn-outs?

DM: Ja, häufig. Für den, der diese Signale wahrnimmt, ist es allerhöchste Zeit, die Notbremse zu ziehen! Das heißt: ärztlichen Rat aufsuchen, sich krankschreiben lassen oder sich an einen Coach oder Psychotherapeuten wenden. Auch eine stationäre Behandlung ist immer eine Option. Man muss sich nur helfen lassen, das ist ganz wichtig. Von allein wird es nicht besser.

Sind Juristen in Rechtsanwaltskanzleien besonders Burn-out-gefährdet?

DM: Es gibt dazu noch keine empirisch gesicherten Erkenntnisse. Aber tatsächlich dürfte das Jura-Studium neben dem der Medizin eines der stressigsten überhaupt sein. Daher bildet sich bereits in der Ausbildung eine Art „Superheldenmentalität“ heraus, nach der es ein Zeichen von Schwäche wäre, würde man etwa zugeben, überfordert zu sein. Ergo wird das Thema Burn-out unter derart geforderten Berufsgruppen stärker tabuisiert als anderswo. Oder wie Studierende der Rechtswissenschaften bisweilen über sich selbst salopp sagen: Nur die Harten kommen in den Garten.

Man hat den Eindruck, Burn-out ist sozusagen „allumfassend“ …

DM: … und komplex. Es handelt sich um einen zunehmend chronischen körperlichen Erschöpfungszustand durch private und berufliche Überforderungen. Hinzu kommen emotionale Erschöpfung, Zynismus sowie Distanzierung und Depersonalisation, gepaart mit verringerter Arbeitsleistung. Anders ausgedrückt: Die Leute werden immer gereizter und lassen es ggf. an ihren Liebsten aus. Es stellt sich das Gefühl ein, das Leben einfach nicht mehr zu packen. Hilflosigkeit macht sich breit. Angst und Ärger können hinzukommen. Die Leute igeln sich ein, reduzieren soziale Kontakte und sind von ihrem normalen Leistungsniveau weit entfernt.

Und was passiert, wenn ich dann immer noch nicht reagiere?

DM: Dann ist es der Körper selbst, der die Notbremse zieht und sagt: Jetzt ist Schluss. Das ist der Moment, an dem ich morgens nicht mehr aus dem Bett komme. Die Erschöpfung ist total.

Wie kann ich rechtzeitig gegensteuern?

DM: Es geht darum, sich ausreichend Stresskompetenzen anzueignen – am besten, bevor man die Notbremse ziehen muss. Man muss lernen, Symptome frühzeitig zu deuten, sich Zeit für Regeneration zu nehmen und mit anderen seine Ängste und Nöte zu teilen. Das bedeutet, im Kern müssen wir lernen, für uns selbst zu sorgen. Dies schließt auch die Fähigkeit ein, Nein sagen zu können. Das mag nicht immer populär sein, ist aber zielführend. Und es stützt das Selbstwertgefühl und die Selbstwirksamkeit. Denn dadurch erfahre ich, dass ich aktiv etwas ändern kann. Dazu gehört auch, die Realität anzunehmen, wie sie ist, denn nur dann kann ich sie auch kontrollieren.

Welche Rolle spielen Vorgesetzte bei dem Thema?

DM: Die Aufgabe der Vorgesetzten ist es, ein vertrauensvolles, angstfreies Umfeld zu schaffen, sodass Mitarbeitende idealerweise von sich aus zum Chef kommen und ihre Probleme thematisieren. Die Atmosphäre sollte so sein, dass mit Fehlern konstruktiv umgegangen wird, insbesondere in Krisenzeiten. Da kommt es auch darauf an, was der Vorgesetzte vorlebt. Wenn dann das Ganze noch in eine entsprechende Unternehmenskultur eingebettet ist, entsteht eine Win-win- Situation für die Mitarbeitenden und das Unternehmen. Und nur zufriedene Mitarbeitende können ihr volles Potenzial ausschöpfen.

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