Disruption in der Steuerkanzlei?

Beitrag von: Ulrike Lüdke
30. August 2021

Die Digitalisierung könnte die gesamte Branche verändern. Doch bislang sehen nur wenige Steuerberater das Potenzial und ergreifen ihre Chance. Marco Zimmer, wissenschaftlicher Direktor des ipo Instituts für Personal & Organisationsforschung, über Visionen, fehlende Investitionsbereitschaft und veraltete Führungskonzepte in der Steuerberatung.

Herr Zimmer, Sie haben in einer Studie die Auswirkungen der Digitalisierung auf Steuerberatungsunternehmen untersucht. Was hat Sie am meisten überrascht?

Marco Zimmer: Unsere erste Erhebung stammt aus den Jahren 2018/2019. Während damals bereits in Fachpubli­kationen über den Einsatz von Künst­licher Intelligenz in den Steuerbera­tungen diskutiert wurde, standen die Kanzleien nach unseren Erkenntnis­sen häufig noch relativ am Anfang der Digitalisierung und beschäftigten sich vor allem mit dem Thema „papierloses Büro“ und der Frage, wie man die Man­danten bei der Digitalisierung ihrer Ak­ten unterstützen könnte

Was hat sich seitdem verändert?

MZ: Wir haben im vergangenen Jahr noch einmal nachgefasst und festge­stellt, dass die Corona-Pandemie bei den Steuerberatern – wie in vielen an­deren Branchen auch – für einen Di­gitalisierungsschub gesorgt hat. Vor al­lem im Mandantenverkehr, aber auch bei kanzleiinternen Abläufen wurde viel digitalisiert. Allerdings blieb dabei die Auseinandersetzung mit der Frage, wie sich das Geschäftsmodell hinsichtlich der anstehenden Veränderungen des Massengeschäfts anpassen ließe, auf der Strecke.

Auf welche Entwicklung spielen Sie an?

MZ: Es drängen immer mehr Fintechs auf den Markt, die mithilfe von spe­ziellen Algorithmen eine vollauto­matisierte Verarbeitung von Buch­haltungsdaten schnell und günstig anbieten. Das wäre ein erklecklicher Umsatzverlust für die Steuerkanzlei­en. Die Veränderungen, die in ein­schlägigen Untersuchungen wie der Studie der Bundessteuerberaterkam­mer „Steuerberatung 2020“ angeregt wurden, haben die Kanzleien nicht umgesetzt. Eine wesentliche Emp­fehlung lautete damals, dass sich die Steuerberater zukünftig stärker auf beraterische Tätigkeiten konzentrie­ren sollten. Das ist aber nicht passiert.

Heißt das, Steuerberater könnten zu Unternehmensberatern werden?

MZ: So ist es. Das wäre ein lukratives Geschäftsfeld. Steuerkanzleien sitzen auf einem Schatz von Daten. Mithilfe dieser Daten aus Buchhaltung und Rechnungswesen könnten frühzeitig Risiken, aber auch Potenziale in einem Unternehmen ermittelt werden. Zudem ließen sich Prozesse bei den Mandanten optimieren. Die Steuerberater würden sich damit bei ihren Mandanten unentbehrlich machen. Gegenüber klassischen Unternehmensberatern haben Steuerbera­ter den Vorteil, dass sie ohnehin über alle notwendigen Daten aus der Buchhaltung und dem Rechnungswesen verfügen.

Warum ergreift die Branche diese Gelegenheit nicht?

MZ: Die meisten Steuerberater ste­cken bis über beide Ohren im Tages­geschäft. Durch die Corona-Krise hat das Arbeitsvolumen in den Kanzlei­en noch zugenommen, sodass für Ma­nagementthemen noch weniger Zeit bleibt als ohnehin. Mich hat allerdings gewundert, dass kein Kanzleiinhaber, mit dem wir gesprochen haben, auf die Idee gekommen ist, dass man die Beschäftigten insoweit qualifizieren könnte, dass diese ein Stück der Ar­beit übernehmen könnten.

Wenn man in Richtung Unterneh­mensberatung denkt, ist es kaum möglich, dass ein Steuerbüro mit zwei oder drei Steuerberatern die ganze Be­ratungsleistung allein erbringt. Man braucht qualifizierte Zuarbeit von verschiedenen Mitarbeitern, damit das funktionieren kann. Eine Unter­nehmensberatung besteht aus vielen Häuptlingen, die von einem Ober­häuptling koordiniert werden. Das ist aber nicht die typische Struktur, die wir in den Steuerkanzleien gefun­den haben.

Wie sieht die Führungsstruktur denn aus?

MZ: Das Organigramm ist stark auf den Inhaber zugeschnitten. Das ist ty­pisch für KMU und lässt sich noch im stärkeren Maße bei den Steuerkanz­leien beobachten. Verantwortung ab­zugeben und ihren Beschäftigten auf Augenhöhe zu begegnen fällt Kanzlei­inhabern eher schwer.

Wie könnte sich das Berufs­bild der Steuerfachangestellten verändern?

MZ: Die Qualifikation für Steuerfachan­gestellte könnte viel breiter sein. Sinn­voll wären betriebswirtschaftliche und vertiefte IT-Kenntnisse. Vor allem im Umgang mit moderner Software gibt es nach unserer Wahrnehmung noch einen akuten Kompetenzmangel. Die Steuerfachangestellten kommen zwar mit der IT zurecht, technisch möglich wäre aber noch viel mehr.

Welche Implikationen leiten Sie daraus ab?

MZ: Kurz- und mittelfristig sind die Auswirkungen nicht dramatisch. Steu­erberater haben kein Umsatzproblem. Die Auftragsbücher sind voll, z.T. gibt es sogar Wartelisten für neue Mandan­ten. Sie verspüren daher gegenwärtig keinen Druck, sich über alternative Geschäftsmodelle Gedanken zu ma­chen oder große Investitionen in Tech­nologie und die entsprechende Fortbil­dung ihrer Mitarbeiter zu tätigen.

Oft werden Veränderungsprozesse von der Nachfrageseite angestoßen. Ist der Druck seitens der Mandanten nicht hoch genug?

MZ: Viele Unternehmen digitalisieren und automatisieren ihre Buchhaltung und haben daher auch ein großes In­teresse, diese Prozesse auch in ihrer Steuerkanzlei anzustoßen. Dafür sind erst einmal Investitionen notwendig. Diese müssen sich irgendwann auszah­len. Daher erwarten die Mandanten, dass sich durch die Effizienzsteigerung Kosten einsparen lassen. Derzeit lässt sich noch nicht absehen, ob die Pro­duktivitätsvorteile, die einer Kanzlei durch die Automatisierung ihrer Pro­zesse entstehen, auch realisiert werden können, oder ob sie am Ende durch den Preisdruck seitens der Mandanten kompensiert werden.

Foto: ipo Institut für Personal- und Organisationsforschung

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