ERP-Systeme: Teil des Problems oder Teil der Lösung?

Beitrag von: Gunter Illgen, Philipp Gusinde
4. April 2019

Eine Due Diligence prüft Geschäftsmodell, Finanzen, (steuer-)rechtliche Aspekte – aber nur selten die Unternehmens-IT. Ein Fehler: Denn gerade das ERP-System zeigt – oder verbirgt – die wahren Unternehmensprobleme.

Enterprise Resource Planning (ERP) ist heute eine Kernfunktion in Unternehmen, ganz gleich, ob bei Großkonzernen oder beim klassischen Mittelständler. In Zeiten von Digitalisierung und Automatisierung steuern ERP-Systeme sämtliche Prozesse entlang der Wertschöpfungskette. So stellen sie einen funktionskritischen Teil einer jeden Organisation dar. Im Rahmen einer Due Diligence gerät das ERP-System aber leider zu oft ins Hintertreffen, wenn eher das Geschäftsmodell, die Finanzen, Steuern und Recht im Fokus stehen. Zu Unrecht: Eine mangelhafte Unternehmens- IT kann ursächlich für die Probleme eines Unternehmens sein. Umgekehrt gilt: Eine bessere Transparenz durch ein gut designtes ERP-System gibt dem Management die Chance zu einer auf Kennzahlen basierten, wertorientierten Unternehmensführung. Dem Zusammenspiel von Firmen-IT mit den Fachabteilungen – unter kompetenter Begleitung eines nachhaltig orientierten Investors – kommt dabei entscheidende Bedeutung zu, auch im Hinblick auf Digitalisierungsstrategien für das Kerngeschäft eines Unternehmens.

Wenn die Steuerung sich selbst blockiert

Bei Vitrulan, das 2016 im Rahmen einer Nachfolgeregelung von Adcuram übernommen wurde, zeigte sich beispielsweise, dass viele Fachabteilungen die Möglichkeiten des eigenen ERP-Systems nicht in Gänze kannten und folglich auch nicht nutzen konnten. Das System war schlichtweg überdimensioniert und verursachte unnötige Kosten. Es bestanden Zweifel, ob Prozesse im ERP-System korrekt abgebildet waren, ob die IT-Abteilung des Unternehmens vernünftig ausgestattet war (Personal, Budget) und ob die interne Kommunikation zwischen IT und Fachabteilung (z.B. dem Einkauf) funktionierte. Diese und weitere Erfahrungen aus der Praxis zeigen: Man muss ERP-Systeme bei jedem Unternehmensübergang bewerten und auch anfassen. Sie sind bei einer Krise häufig Teil des Problems oder mitschuldig an einer Schieflage, weil Prozesse ungenügend dargestellt sind und der Geschäftsleitung damit wichtige Informationen fehlen – etwa die korrekten Deckungsbeiträge der Geschäftsbereiche. Ein gutes ERP-System dagegen gibt dem Management die nötigen Informationen an die Hand, um den Turnaround zu planen und den Fortschritt der Restrukturierung zu kontrollieren.

Ressourcenplanung als Transparenzgewinn

Vor einem Eingriff ins ERP-System sollte man also nicht zurückschrecken – er kann ein wesentlicher Erfolgsfaktor sein. Rückläufige Umsätze oder Produktionsprobleme dürfen dabei nicht als Ausrede herhalten; selbst bei knapper Liquidität sind Ressourcen für eine Verbesserung der Transparenz oftmals besser eingesetzt als für Maßnahmen, die auf kurzfristige Kosteneinsparungen oder Umsatzausweitungen zielen. Nimmt man das System zunächst einmal genauer unter die Lupe, müssen mehrere Fragen gestellt werden: Stimmt die Leistung tatsächlich mit den Anforderungen überein? Ist das Programm flexibel genug, um auf zukünftige Veränderungen wie Prozessveränderung, Digitalisierung oder M&A reagieren zu können? Nutzen alle Mitarbeiter das ERP-System, schöpfen sie seine Potenziale auch aus? Und der wichtigste und entscheidende Aspekt: Liefert die ERP-Lösung dem Management ausreichend Transparenz über die internen Prozesse?

ERP als Werthebel neben Einkaufs- und Prozessoptimierung

Die Optimierung des ERP-Systems ist ein Werthebel im Turnaround und sollte gleichberechtigt neben Einkauf oder Produktionsoptimierung stehen. Nach Carve-outs etwa nutzen Unternehmen entweder das ERP-System des veräußernden Konzerns weiter (wenn erlaubt) oder, und das ist häufiger der Fall, es muss ein komplett neues System installiert werden. Ein solcher Neuanfang bietet trotz des Aufwands viele Chancen – vor allem im Bereich Prozessdokumentation. Erfolgsfaktoren sind vor allem pragmatisch vorgehende „Implementierer“ im Unternehmen und eine saubere Bestandsaufnahme. Bei einem weiteren Beteiligungsunternehmen von Adcuram, Poggenpohl, einem Hersteller von Luxusküchen, wurden z.B. ein exzellentes IT-Team sowie eine gute Softund Hardware-Ausstattung vorgefunden; trotzdem musste auch dort noch der Austausch zwischen IT und den Fachabteilungen verbessert werden. Bei der Beteiligung Bayerwald wird aktuell ein ERP-System neu eingeführt. Die Fachabteilungen hatten vorher die Chance, die komplette Prozesslandschaft auf den Prüfstand zu stellen und ein tragfähiges Zukunftskonzept zu skizzieren. Erst dann wurde die Realisierung des neuen Systems in Auftrag gegeben. Hier und andernorts zeigt sich: Erfahrene Projektteams erlauben eine effiziente Neueinführung mit überschaubaren Budgets; Mietmodelle für Lizenzen und andere Finanzierungsformen reduzieren zudem die Einmalkosten. Eine ERP-Neueinführung gehört darum durchaus mit zum „Handwerkskasten“ für eine erfolgreiche Neuausrichtung von Beteiligungen.

Bildnachweis: 123rf.com/Bruce Rolff

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