Dominoeffekt: Ausfallrisiko wird zur Existenzfrage

Beitrag von: Jonas Sulzberger
28. Juli 2022

Mit dem Auslaufen der staatlichen Förderungen wächst erneut die Sorge vor einer Insolvenzwelle. Diese könnte auch gesunden Unternehmen zum Verhängnis werden, wenn sich die Zahlungsausfälle häufen.

Bald drei Jahre befindet sich unsere Wirtschaft inzwischen im Ausnahmezustand. So werden Unternehmen seit dem Ausbruch der Covid-19 Pandemie mit einer schier nicht enden wollenden Aneinanderreihung von Krisen konfrontiert. Eine im Mai diesen Jahres vom Ifo-Institut durchgeführte Umfrage zeigt, dass sich knapp jedes siebte Unternehmen in seiner Existenz bedroht fühlt. So mussten viele Unternehmen nicht nur coronabedingte Gewinneinbußen hinnehmen, die mit einer massiven Belastung der Liquiditäts- und Eigenkapitalreserven einhergingen. Sie sahen sich mit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs auch mit ganz neuen Problemstellungen konfrontiert, wie den signifikant steigenden Energiepreisen oder der aktuellen Rekordinflation. Gerade im Zusammenspiel mit dem akuten Fachkräftemangel, den steigenden Materialkosten und den anhaltenden Lieferkettenschwierigkeiten stellten die letzten Jahre eine Zerreißprobe für die ohnehin angeschlagenen Unternehmen dar, wobei der anstehende Rückzahlungsbeginn der auslaufenden Corona-Hilfen in Verbindung mit dem rasanten Anstieg der Kapitalkosten wenig Hoffnung auf eine dringend benötigte Erholung der krisenbelasteten Märkte zulässt.

Es mag daher verwundern, dass die – mit dem Auslaufen der bis zum April 2021 ausgesetzten Insolvenzantragspflicht – erwartete Insolvenzwelle bisher ausblieb. Stattdessen setzt sich der seit 2020 zu beobachtende stark rückläufige Trend der beim statistischen Bundesamt gemeldeten Unternehmensinsolvenzen bis dato ungebrochen fort.

Insolvenz als marktrelevanter Korrekturfaktor

Dieser Schein trügt jedoch: So ist aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive  die aktuelle, staatlich tolerierte Insolvenzverschleppung durchaus kritisch zu sehen, da diese maßgeblich zu der sich anbahnenden Problematik beiträgt. Denn Unternehmensinsolvenzen haben u.a. eine marktkorrigierende bzw. -schützende Funktion. Dabei werden durch Insolvenzen nicht nur Unternehmen mit unwirtschaftlichen Geschäftsmodellen vom Markt ausgeschlossen, wodurch Folgeschäden begrenzt werden. Sie dienen auch der Neuverteilung der bis dahin im insolventen Unternehmen gebundenen und ineffizient genutzten Produktionsfaktoren wie Kapital, Rohstoffe und qualifizierte Arbeitskräfte.

Eine solche Marktbereinigungsfunktion wurde in den letzten Jahren durch die massiven staatlichen Eingriffe jedoch ausgehebelt, mit der Konsequenz, dass sich nach Schätzungen von Experten die Anzahl dieser aktiv am Markt agierenden, künstlich am Leben gehaltenen „Zombieunternehmen“ innerhalb von zwei Jahren weltweit fast verdoppelt hat.

Gefahr auch für gesunde Unternehmen

So ist hinsichtlich der auslaufenden staatlichen Förderungen, den inflationsbedingt zunehmenden Produktionskosten sowie einer zusätzlichen finanziellen Belastung durch steigende Kapitalkosten zu erwarten, dass diese unwirtschaftlichen Unternehmen ohne nachhaltige Geschäftsmodelle ihre Markttätigkeit in den kommenden Jahren verstärkt aufgeben müssen. Ein sich daraus ableitender zukünftiger Anstieg an Forderungs- und Lieferkettenausfällen stellt aber auch für im Kern gesunde Unternehmen eine Gefahr dar, insbesondere, da auch an diesen die Krisen nicht spurlos vorbeigegangen sind. Eine staatliche „Rettung“ im Umfang der letzten Jahre erscheint bzgl. der angestrebten Nullverschuldung unrealistisch. Somit werden auch gut am Markt positionierte Unternehmen ihren Fokus verstärkt auf das eigene Insolvenzrisiko sowie das ihrer Kunden und Lieferanten legen müssen, um nicht in den sich abzeichnenden „Insolvenzstrudel“ hineingezogen zu werden.

Liquiditätssicherung ist überlebenswichtig

Dabei wird die Bewältigung der zukünftig weiter zunehmenden Lieferengpässe sowie Forderungsausfälle einen elementaren Faktor für das Überleben gesunder Unternehmen darstellen. Diese sollten die kommenden Monate nicht nur verstärkt dazu nutzen, sich detailliert mit ihren fortbestandsrelevanten Lieferanten sowie Kunden auseinanderzusetzen und evtl. Abhängigkeiten zu reduzieren, sondern sich auch mit der Tragfähigkeit der eigenen Liquidität zu beschäftigen.

Vor allem im Hinblick auf eine sich verschlechternde Zahlungsmoral ist davon auszugehen, dass sowohl die Häufigkeit, als auch das Volumen der finanziellen Schäden aus Forderungsausfällen ansteigen wird. Unternehmen sollten daher abwägen, inwieweit sie ihr Debitorenmanagement eigenständig verbessern oder alternativ ihr Ausfallrisiko mithilfe von Factoring auslagern und parallel ihre Liquidität erhöhen können.

Normalisierung der Insolvenzzahlen als unterschätztes Risiko

Auch wenn derzeit von keiner abrupten Insolvenzwelle auszugehen ist, so werden sich die Insolvenzen mit Auslauf der Staatshilfen in Verbindung mit der derzeitigen Inflation und aktuellen Zinsentwicklung in den kommenden Jahren voraussichtlich wieder auf ein, um die pandemiebedingten Insolvenzverzögerungen bereinigtes, erhöhtes Vorkrisenniveau normalisieren.

Es wird sich somit zeigen, welche Unternehmen die vergangenen Jahre nicht nur für den Aufbau eines nachhaltigen Geschäftsmodells genutzt haben, sondern sich auch effizient vor künftigen Zahlungsausfällen schützen können, während die anderen zusammen mit den „Zombie-Unternehmen“, die ihre aktuelle Marktexistenz ausschließlich den nach „Gießkannenprinzip“ verteilten Förderungsmaßnahmen zu verdanken haben, wohl untergehen werden.

Foto: 123rf.com/rudall30

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