Mehr Resilienz durch Lieferkettenfinanzierung

Beitrag von: Andreas Knoch
9. März 2021

Viele Unternehmen müssen in der Corona-Pandemie ihr Cash zusammenhalten und das Working Capital verbessern. Supply Chain Finance ist eine Möglichkeit, um Liquidität freizusetzen. Ein Gespräch mit Axel Graeff und Michael Sager von der Helaba über die Vorteile von Lieferkettenfinanzierung in Krisenzeiten.

Herr Graeff, Herr Sager, neben dem Forderungsverkauf rückt verstärkt auch die andere Seite der Lieferkette in den Fokus: die Verbindlichkeiten. Was hat es damit auf sich?

Michael Sager: Mit Supply-Chain-Finance(SCF)-Lösungen können Unternehmen Liquidität in der Lieferkette freisetzen, indem ihre Verbindlichkei­ten gegenüber Lieferanten durch eine Bank zwischenfinanziert werden. Der deutsche SCF-Markt verzeichnet zur­zeit hohe Wachstumsraten – wenn auch von einer im Vergleich zu anderen Län­dern niedrigeren Basis ausgehend.

Woran liegt das anziehende Interesse für SCF-Lösungen?

Axel Graeff: Ein Grund ist sicherlich, dass SCF-Lösungen beiden Geschäfts­partnern – sowohl dem Besteller als auch dem Lieferanten – nützen. Der Besteller will üblicherweise so spät wie möglich zahlen. Der Lieferant hingegen will sein Geld sofort. Diese widerstreitenden In­teressen lassen sich mit SCF auflösen, es bringt Vorteile für beide. Der Besteller kann i.d.R. seine Zahlungsziele verlän­gern – üblich sind 90 bis 120 Tage – und so sein Working Capital verbessern. Der Lieferant bekommt sein Geld vorzeitig von den Zwischenfinanziers, reduziert sein Working Capital durch den For­derungsabgang und profitiert vom Zu­gang zu preiswerter Liquidität, weil er eine Finanzierung auf Basis der oftmals besseren Bonität seiner Kunden (den Be­stellern) erhält. Die vergangenen Monate haben auch gezeigt, dass SCF die Resi­lienz von Lieferketten erhöht.

Wie kommen Lieferanten in den Genuss einer SCF-Lösung?

MS: Initiiert werden SCF-Lösungen im­mer vom Besteller. Trotz unterschied­licher Strukturen ist das Prinzip quasi identisch: Der Besteller lädt seine Rech­nung, für die er die Zahlung zusichert, i.d.R. auf ein Portal hoch, an das er so­wie der Lieferant und die finanzierenden Banken angeschlossen sind. Der Liefe­rant kann im Anschluss seine Forderung an die Banken verkaufen, die ihm den Rechnungsbetrag zeitnah gutschreiben. Im finalen Schritt begleicht der Bestel­ler die Rechnung gegenüber den Ban­ken. Neben den ursprünglich bilateralen SCF-Angeboten der Finanzinstitute, bei denen auch mehrere Kredithäuser ein­gebunden sein können, haben sich in­zwischen auch etliche Fintechs mit SCF-Plattformen auf dem Markt etabliert.

Welche Variante ist die bessere?

AG: Das lässt sich so nicht sagen. Der technische und administrative Auf­wand sowie die Rechtskosten sind bei Plattformbetreibern i.d.R. etwas höher, weshalb bei kleineren SCF-Program­men bilaterale Lösungen vorteilhafter sein können. Da die Plattformbetreiber oft über ihr IT-Know-how in den Markt kommen, sind ihre Lösungen hingegen häufig deutlich flexibler und technisch aktuell. Zudem ist es relativ einfach, mehrere Geldhäuser in ein Programm einzubinden, wodurch die Abhängigkeit von einer Bank sinkt und die Finanzie­rungssicherheit steigt. Generell geben die Banken zwar keine explizite Ankaufszu­sage ab, um zusätzliche Kosten in Form von Bereitstellungsprovisionen zu ver­meiden, sie fühlen sich aber grundsätz­lich verpflichtet, die Verbindlichkeiten im vereinbarten Rahmen zu finanzieren.

Gilt das auch in Krisenzeiten?

AG: Das vergangene Jahr ist ein guter In­dikator, wie stabil die Programme sind. Die teilweise spürbare Zurückhaltung der Banken bei der Kreditvergabe, ins­besondere im zweiten Quartal 2020, hat sich nicht auf SCF übertragen. Die finan­zierten Volumina sind etwas geringer ge­wesen, aber das war vor allem getrieben durch die schwächere Auftragslage in den meisten Unternehmen.

Wie gehen die Banken mit Unternehmen aus Problembranchen um?

MS: Banken prüfen Kreditrisiken immer intensiv. Der aktuellen Lage geschuldet, werden Unternehmen in von der Kri­se betroffenen Branchen sicherlich stär­ker hinterfragt, insbesondere mit Blick auf die Nachhaltigkeit des Geschäftsmo­dells. Im Neukundengeschäft sieht man daher etwas genauer hin – auch wenn es jeweils individuelle Kreditentscheidun­gen sind. Im Geschäft mit langjährigen Bestandskunden können die Kreditins­titute natürlich auf ihre Erfahrungen in der bisherigen Zusammenarbeit und aus früheren Wirtschaftszyklen zurückgrei­fen. Im Rahmen von SCF-Transaktionen steht für den Besteller neben den Liquidi­tätseffekten auch die Sicherstellung seiner Lieferketten im Vordergrund.

Worauf kommt es bei der Implementierung eines SCF-Programms an?

AG: Technisch kann ein SCF-Programm relativ schnell umgesetzt werden. Es er­fordert aber einen gewissen administra­tiven Aufwand, da neben dem Treasury auch der Einkauf eingebunden werden muss. In der Praxis hat es sich daher als sinnvoll erwiesen, das Projekt auf CEO-Level zu verorten. Zudem sollten Wirt­schaftsprüfer bei der Implementierung hinzugezogen werden, um eine Reklassi­fizierung von Verbindlichkeiten aus Liefe­rungen und Leistungen im Abschluss des Bestellers auszuschließen. Zudem muss der Besteller seine Lieferanten überzeu­gen, das SCF-Programm auch zu nutzen.

Für welche Unternehmensgröße kommen SCF-Programme infrage?

MS: Das Aufsetzen eines SCF-Pro­gramms macht nach unserer Erfahrung nur für Unternehmen aus dem gehobe­nen Mittelstand und aufwärts Sinn. Ein Richtwert ist ein Jahresumsatz ab einem mittleren dreistelligen Millionen-Euro-Betrag. SCF-Projekte erfordern ein ge­wisses Grundvolumen, um das Hand­ling zu rechtfertigen.

Fotos: Helaba

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