Viele Unternehmen müssen in der Corona-Pandemie ihr Cash zusammenhalten und das Working Capital verbessern. Supply Chain Finance ist eine Möglichkeit, um Liquidität freizusetzen. Ein Gespräch mit Axel Graeff und Michael Sager von der Helaba über die Vorteile von Lieferkettenfinanzierung in Krisenzeiten.
Herr Graeff, Herr Sager, neben dem Forderungsverkauf rückt verstärkt auch die andere Seite der Lieferkette in den Fokus: die Verbindlichkeiten. Was hat es damit auf sich?
Michael Sager: Mit Supply-Chain-Finance(SCF)-Lösungen können Unternehmen Liquidität in der Lieferkette freisetzen, indem ihre Verbindlichkeiten gegenüber Lieferanten durch eine Bank zwischenfinanziert werden. Der deutsche SCF-Markt verzeichnet zurzeit hohe Wachstumsraten – wenn auch von einer im Vergleich zu anderen Ländern niedrigeren Basis ausgehend.
Woran liegt das anziehende Interesse für SCF-Lösungen?
Axel Graeff: Ein Grund ist sicherlich, dass SCF-Lösungen beiden Geschäftspartnern – sowohl dem Besteller als auch dem Lieferanten – nützen. Der Besteller will üblicherweise so spät wie möglich zahlen. Der Lieferant hingegen will sein Geld sofort. Diese widerstreitenden Interessen lassen sich mit SCF auflösen, es bringt Vorteile für beide. Der Besteller kann i.d.R. seine Zahlungsziele verlängern – üblich sind 90 bis 120 Tage – und so sein Working Capital verbessern. Der Lieferant bekommt sein Geld vorzeitig von den Zwischenfinanziers, reduziert sein Working Capital durch den Forderungsabgang und profitiert vom Zugang zu preiswerter Liquidität, weil er eine Finanzierung auf Basis der oftmals besseren Bonität seiner Kunden (den Bestellern) erhält. Die vergangenen Monate haben auch gezeigt, dass SCF die Resilienz von Lieferketten erhöht.
Wie kommen Lieferanten in den Genuss einer SCF-Lösung?
MS: Initiiert werden SCF-Lösungen immer vom Besteller. Trotz unterschiedlicher Strukturen ist das Prinzip quasi identisch: Der Besteller lädt seine Rechnung, für die er die Zahlung zusichert, i.d.R. auf ein Portal hoch, an das er sowie der Lieferant und die finanzierenden Banken angeschlossen sind. Der Lieferant kann im Anschluss seine Forderung an die Banken verkaufen, die ihm den Rechnungsbetrag zeitnah gutschreiben. Im finalen Schritt begleicht der Besteller die Rechnung gegenüber den Banken. Neben den ursprünglich bilateralen SCF-Angeboten der Finanzinstitute, bei denen auch mehrere Kredithäuser eingebunden sein können, haben sich inzwischen auch etliche Fintechs mit SCF-Plattformen auf dem Markt etabliert.
Welche Variante ist die bessere?
AG: Das lässt sich so nicht sagen. Der technische und administrative Aufwand sowie die Rechtskosten sind bei Plattformbetreibern i.d.R. etwas höher, weshalb bei kleineren SCF-Programmen bilaterale Lösungen vorteilhafter sein können. Da die Plattformbetreiber oft über ihr IT-Know-how in den Markt kommen, sind ihre Lösungen hingegen häufig deutlich flexibler und technisch aktuell. Zudem ist es relativ einfach, mehrere Geldhäuser in ein Programm einzubinden, wodurch die Abhängigkeit von einer Bank sinkt und die Finanzierungssicherheit steigt. Generell geben die Banken zwar keine explizite Ankaufszusage ab, um zusätzliche Kosten in Form von Bereitstellungsprovisionen zu vermeiden, sie fühlen sich aber grundsätzlich verpflichtet, die Verbindlichkeiten im vereinbarten Rahmen zu finanzieren.
Gilt das auch in Krisenzeiten?
AG: Das vergangene Jahr ist ein guter Indikator, wie stabil die Programme sind. Die teilweise spürbare Zurückhaltung der Banken bei der Kreditvergabe, insbesondere im zweiten Quartal 2020, hat sich nicht auf SCF übertragen. Die finanzierten Volumina sind etwas geringer gewesen, aber das war vor allem getrieben durch die schwächere Auftragslage in den meisten Unternehmen.
Wie gehen die Banken mit Unternehmen aus Problembranchen um?
MS: Banken prüfen Kreditrisiken immer intensiv. Der aktuellen Lage geschuldet, werden Unternehmen in von der Krise betroffenen Branchen sicherlich stärker hinterfragt, insbesondere mit Blick auf die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells. Im Neukundengeschäft sieht man daher etwas genauer hin – auch wenn es jeweils individuelle Kreditentscheidungen sind. Im Geschäft mit langjährigen Bestandskunden können die Kreditinstitute natürlich auf ihre Erfahrungen in der bisherigen Zusammenarbeit und aus früheren Wirtschaftszyklen zurückgreifen. Im Rahmen von SCF-Transaktionen steht für den Besteller neben den Liquiditätseffekten auch die Sicherstellung seiner Lieferketten im Vordergrund.
Worauf kommt es bei der Implementierung eines SCF-Programms an?
AG: Technisch kann ein SCF-Programm relativ schnell umgesetzt werden. Es erfordert aber einen gewissen administrativen Aufwand, da neben dem Treasury auch der Einkauf eingebunden werden muss. In der Praxis hat es sich daher als sinnvoll erwiesen, das Projekt auf CEO-Level zu verorten. Zudem sollten Wirtschaftsprüfer bei der Implementierung hinzugezogen werden, um eine Reklassifizierung von Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen im Abschluss des Bestellers auszuschließen. Zudem muss der Besteller seine Lieferanten überzeugen, das SCF-Programm auch zu nutzen.
Für welche Unternehmensgröße kommen SCF-Programme infrage?
MS: Das Aufsetzen eines SCF-Programms macht nach unserer Erfahrung nur für Unternehmen aus dem gehobenen Mittelstand und aufwärts Sinn. Ein Richtwert ist ein Jahresumsatz ab einem mittleren dreistelligen Millionen-Euro-Betrag. SCF-Projekte erfordern ein gewisses Grundvolumen, um das Handling zu rechtfertigen.
AXEL GRAEFF ist Abteilungsdirektor Asset Backed & Trade Finance bei der Helaba. Neben dem Arrangieren von Verbriefungen für Firmenkunden ist er schwerpunktmäßig für den Aufbau des Produktfeldes Supply Chain Finance verantwortlich.
Fotos: Helaba