Milliardenschweres Hilfspaket – geringer Effekt

Beitrag von: Ulrike Lüdke
30. März 2020

Das deutsche Corona-Hilfspaket soll Unternehmen mit Liquiditätsnöten über die nächsten Monate helfen. Ob das Geld schnell genug dort ankommt, wo es benötigt wird, ist aber mehr als unsicher, erklärt Detlev Will von Dewill Consulting im Interview.

Die Bundesregierung hat ein Corona-Hilfen für Unternehmen in dreistelliger Milliardenhöhe beschlossen. Wie bewerten Sie das Hilfspaket?

Detlev Will: Grundsätzlich begrüße ich dieses historisch einmalige und großzügige Hilfspaket sehr und habe die bisherige Entwicklungs- und Nachbesserungsbereitschaft der Politik erfreut beobachtet. Ich glaube allerdings, dass diese auch weiterhin gefragt sein wird. Probleme sehe ich insbesondere in der Vergabe von Darlehen (Bürgschaften/Haftungsfreistellungen) sowie der vermutlichen Überforderung vieler Betriebe bei der Antragstellung von geeigneten Hilfen.

Das Notkreditprogramm sieht vor, dass die Banken und Sparkassen einen geringen Anteil der Kreditrisiken übernehmen sollen. Werden die Banken mitziehen?

DW: Die Banken werden keine zusätzlichen Risiken einkaufen. Sie werden lediglich bei bereits bestehenden Kreditverhältnissen neue Risiken in der vorgesehenen Höhe von 10 Prozent bis maximal 20 Prozent übernehmen. Dies werden sie aber nur dann tun, wenn sie davon überzeugt sind, dass das Geschäftsmodell der Kreditnehmer auch in der Zukunft trägt. Ist dies nicht der Fall, könnten selbst 10 Prozent oder 20 Prozent zusätzliches Risiko zu viel für die Kreditinstitute sein. Sofern die Kreditinstitute tatsächlich zusätzliche Kreditmittel ausreichen, ist allerdings sicherzustellen, dass auch weitere Finanziers dabeibleiben, wie die Warenkreditversicherer, Kautionsversicherer, Factoring- und Leasing-Gesellschaften.

Wie lange wird das Hilfspaket reichen?

DW: Aktuell wird mit drei bis fünf Monaten kalkuliert. In China, wo die Pandemie wohl Mitte November ihren Anfang nahm, sind bis Ende März 95 Prozent der Fabrikarbeiter wieder an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt. Bei einer abgeflachten Ansteckungskurve ist es aber nicht auszuschließen, dass der für die Hilfsprogramme veranschlagte Zeitraum nicht ganz ausreichen wird.

Bei der Vielzahl von Hilfsmaßnahmen verliert man schnell den Überblick. Wie kommen Unternehmen möglichst schnell an die Finanzhilfen?

DW: Die Empfehlung lautet: nicht warten, sondern sofort den Antrag stellen. Die Bearbeitung der Anträge auf Hilfen wird aufgrund der zu erwartenden Antragsflut einige Zeit in Anspruch nehmen, sodass – trotz der geplanten Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30. September 2020 – liquiditätsschonende Maßnahmen wie Tilgungsaussetzungen bei Darlehen, Steuerstundungen bei Finanzbehörden, Mietstundungen bei Vermietern etc. umgehend umgesetzt werden sollten, um Zeit zu gewinnen. Bei diesen Sofortmaßnahmen und auch bei der Beantragung entsprechender Hilfen können die einschlägigen beratenden Berufe wie Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Unternehmensberater sowie z.T. auch Rechtsanwälte unterstützen. Im Übrigen gewährt das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle Zuschüsse zur Unternehmensberatung, insbesondere auch Beratungsförderung für Unternehmen in Schwierigkeiten.

Können die Banken und Sparkassen sowie die KfW überhaupt die erwartete Flut von Kreditanträgen bewältigen?

DW: In der aktuellen Situation lautet die klare Antwort: nein. Die Finanzbranche ist auf Effizienz getrimmt. Vielfach werden zur Kreditprüfung Scoring-Modelle bis zu Größenordnungen von 10 Mio. EUR Kreditvolumen eingesetzt, die auf normale wirtschaftliche Situationen kalibriert sind. Diese Scoring-Modelle werden der aktuellen Situation aber nicht gerecht. Das bedeutet, dass Kredite im Zusammenhang mit dem Hilfspaket des Bundes und der Länder in den allermeisten Fällen technisch nicht über die Scoring-Modelle, sondern nur im Rahmen einer Einzelprüfung entschieden werden können und für die zu erwartende Antragsflut nicht genügend Mitarbeiter zur Verfügung stehen. In der Folge werden sich die Entscheidungen über die Anträge lange hinziehen. So lange werden viele Unternehmen aber nicht durchhalten.

Wie gehen die Banken und Sparkassen in der aktuellen Situation bei der Risikoprüfung vor?

DW: Aktuell gibt es keine Lockerung bei der Risikoprüfung durch die Kreditinstitute, die aufgrund des Hausbankverfahrens über die Vergabe der Kredite entscheiden müssen. Alle gesetzlichen Vorschriften – auch das Kreditwesengesetz (KWG) – gelten unverändert. Eine weniger strenge Risikoprüfung würde auch bei den Kreditinstituten, insbesondere den Privat- bzw. Großbanken, zu einer Anhäufung unüberschaubarer Risiken führen, die diese bei der Wiedereinsetzung der Eigenkapitalregeln, die aktuell gelockert sind, einholen würden. Daher gehe ich derzeit davon aus, dass es hier keine Lockerung geben wird.

Für welche Unternehmen ist die Situation derzeit besonders kritisch?

DW: Besonders kritisch dürfte die Situation für Unternehmen mit kompletten Umsatzausfällen sein, also für Veranstalter, Restaurants, Hotels, Touristik und Personenbeförderer und – nicht zu vergessen – Fluggesellschaften, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Daneben sind auch Unternehmen besonders bedroht, deren Geschäftsmodelle bereits vor der Corona-Krise durch Transformationsprozesse in der Branche an Nachhaltigkeit verloren haben wie bspw. Automobilzulieferer, die auf Verbrennungsmotoren fokussiert sind, aber auch große Teile des bereits seit einiger Zeit unter Druck stehenden Einzelhandels. Für diese Unternehmen wird es voraussichtlich besonders schwer, zusätzliche Liquidität zu beschaffen. Zudem wird die Lage für hochverschuldete Unternehmen durch zusätzliche Kreditaufnahmen kritisch.

Was passiert, wenn die Unternehmen die KfW-Kredite nicht zurückzahlen können?

DW: Das wird gerade bei den Unternehmen spannend, die mit geringen Margen arbeiten und auch in der Vergangenheit mehr schlecht als recht performten. Hier muss die Politik Bereitschaft zeigen, bei Nachweis der Überschreitung der „Debt Capacity“ auf die Rückzahlung ganz oder teilweise zu verzichten. Falls nicht, droht eine Insolvenzwelle ungeahnten Ausmaßes, da viele Unternehmer dann den Weg einer übertragenen Sanierung in der Insolvenz gehen werden. Dies bedeutet, dass das alte Unternehmen in die Insolvenz geht, eine neue und damit unbelastete Gesellschaft gegründet wird und die Assets des Altunternehmens aus der Insolvenzmasse gekauft werden. Die Unternehmen könnten sich auf diesem Wege ihrer (Alt-)Schulden durch die Hintertür entledigen.

Inwieweit wird die Corona-Krise die Unternehmenslandschaft in Deutschland verändern?

DW: Es wird definitiv eine Ausdünnung durch Insolvenzen geben. Gleichzeitig werden Dienstleistungen noch stärker ins Internet verlagert. Nehmen wir als Beispiel die aktuellen Reisebeschränkungen: Diese führen letztlich dazu, dass Unternehmen Meetings nun ausschließlich virtuell durchführen. Da sich Online-Konferenzen nun ja schon etabliert haben, werden viele Unternehmen auch nach der Corona-Krise dabeibleiben. Dies wird nicht ohne Folgen für die Reiseunternehmen und Hotels bleiben. Auch Homeoffice wird sich weiter etablieren, was sich dann längerfristig auf die Anmietung von Büroflächen auswirken könnte. Das ist alles nicht neu, bekommt nun aber eine deutlich größere Dynamik.

Fotoquelle: DEWILL CONSULTING AG

Immer auf dem Laufenden bleiben und einmal monatlich alle Updates des FINANCE Think Tanks erhalten: registrieren Sie sich jetzt für unseren kostenlosen Newsletter!

    * Pflichtfelder

    Es gelten die Datenschutzhinweise der Targecy GmbH. Sie können der Verarbeitung Ihrer erhobenen personenbezogenen Daten jederzeit ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft durch eine Nachricht an info@targecy.de widersprechen. Weitere Informationen erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.