Wie es tatsächlich um die Finanzen eines Unternehmens bestellt ist, lässt sich derzeit nur schwer beurteilen. Lieferanten sollten auf Nummer sicher gehen und sich vor dem Ausfall von Forderungen schützen.
Nach aktuellen Zahlen von Creditreform ist die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im vergangenen Jahr um 13,4 Prozent auf 16.300 Fälle gesunken. Das ist der niedrigste Stand seit der Einführung der neuen Insolvenzordnung im Jahr 1999. 2019 wurden noch 18.830 Insolvenzen gezählt. Die Schäden aus offenen Forderungen stiegen jedoch von 23,5 Mrd. EUR im Jahr 2019 auf 34 Mrd. EUR im Jahr 2020. Trotz des heftigen Konjunktureinbruchs sind die Insolvenzen in Deutschland also weiter signifikant gesunken, während die Größe der von einer Insolvenz betroffenen Unternehmen und damit auch die Amplitude der Schadenshöhe deutlich gestiegen ist.
Gefahr durch Zombie-Unternehmen
Klar ist: In den von der Pandemie besonders betroffenen Branchen wird es Ausfälle geben. Zudem steigt das Risiko, dass durch die staatlichen Hilfsmaßnahmen die finanzielle Lage vieler Unternehmen inzwischen nicht mehr präzise zu beurteilen ist. Mit dem Verlust der Transparenz potenziert sich die Gefahr, dass ansonsten vitale Unternehmen durch den plötzlichen und unvorhersehbaren Ausfall von bisher völlig unauffälligen Abnehmern selbst und vor allem ohne eigenes Verschulden in eine Krise geraten können.
Vor dem Hintergrund der steigenden Risiken am Markt ist daher erhöhte Vorsicht geboten. Die Bereitstellung von Waren und Dienstleistungen auf debitorischer Basis ohne Kreditversicherung oder zumindest ohne ein adäquates Frühwarnsystem ist im aktuellen Marktumfeld vergleichbar mit der Arbeit eines Chirurgen am offenen Herzen ohne Licht.
Versicherungsschutz gekappt
Zwei weitere Themen, die den Markt bereits seit Ausbruch der Krise beschäftigten, waren das plötzliche Re-Grading zahlloser Unternehmen sowie die Auswirkungen der von Euler Hermes forcierten Befristung der Limite der Grading-Klasse 6 (entspricht S&P-Mapping von BB/B+) zum Jahresende 2020. In der Folge wurde harsche Kritik am Marktführer Euler Hermes laut, da diese Maßnahmen nicht nur die Ebene zwischen Lieferanten und Abnehmer belasten, sondern auch zu massiven multilateralen Wechselwirkungen in unterschiedlichsten Bereichen führen.
Der Verlust der Deckung von großen Teilen des Portfolios kann bspw. die strukturelle Integrität eines laufenden Factoring-Programms in Bedrängnis bringen, da mit fehlender Deckung der Rückversicherung die Cash-Fähigkeit des Verfahrens leidet. Das hat wiederum direkte Auswirkungen auf die Liquidität des Unternehmens.
Auch für die Abnehmer bleibt das nicht folgenlos. Ohne entsprechende Deckung ist die Belieferung auf debitorischer Basis für den Lieferanten meist nicht mehr möglich, was zu einer direkten Inanspruchnahme der Liquidität des Abnehmers führt.
Mit dem Angebot, Teile des Portfolios gegen Mehrprämie zu entfristen und die bestehenden Befristungen äquivalent dem verlängerten Schutzschirm zum 30. Juni dieses Jahres fortzuschreiben, hat Euler Hermes versucht gegenzusteuern.
Der Befristung voran ging jedoch eine Maßnahme über deren Auswirkungen der Versicherer Euler Hermes nicht ganz so detailverliebt informiert hat, die aber für die Unternehmen von größer Wichtigkeit sein kann: Im Vorfeld der Befristung erfolgte technisch die Aufhebung der betreffenden Limite. Problematisch ist, dass diese Aufhebung eines Limits als Negativmerkmal gilt. Für Kunden mit einer Fabrikationsrisikodeckung oder einer Binding-Order-Klausel im Vertrag hat dies zur Folge, dass die Deckung dieser beiden Risiken mit der Aufhebung des Limits für künftige Warenlieferungen und Dienstleistungen erloschen ist. Weder die Gewähr des befristeten Limits noch die Verlängerung des Schutzschirms vermag dies zu heilen. Eine etwaige vereinbarte Nachlaufdeckung gilt erst ab dem Zeitpunkt der Aufhebung. Die Stellungnahme von Euler Hermes zu diesem Punkt steht noch aus.
Liquidität absichern
Auch wenn die Verlängerung des Schutzschirms zu einer Beruhigung geführt hat, lindert sie allenfalls die Symptome. Das eigentliche Problem wird jedoch nicht gelöst, es wird lediglich auf die Zeit nach dem Schutzschirm verschoben.
Daher sollte der Abschluss einer Warenkreditversicherung in Betracht gezogen werden. Unter Umständen können auch der Einkauf zusätzlicher Kapazitäten (Top-up-Cover), die Hinzunahme zusätzlicher Deckung von einem zweiten Versicherer (Exzedenten-Cover) oder Alternativen wie Score Cards und Vorkasseregelungen sinnvoll sein. Zudem sollten das Debitorenportfolio und die bestehenden Verträge auf etwaige Risiken hin überprüft werden. Lieferanten sollten ihre Kunden nicht nur über die gefährdete Deckung informieren, sondern auch den Versicherer mit aktuellen Finanzdaten versorgen.
viktor.margaritopoulos@gracher.de
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