Neue Arbeitswelten

Beitrag von: Ulrike Lüdke
10. Januar 2022

Das Eckbüro mit Vorzimmer für den Chef, Zweierbüros für die Mitarbeiter: Solche traditionellen Raumkonzepte dürften bald der Vergangenheit angehören. Spätestens mit der Etablierung des Home Office hat das Büro einen anderen Stellenwert erhalten. Aus dem Platz zum Arbeiten wird Raum für Interaktion und Kommunikation. Dafür braucht es eine offene und flexible Arbeitsumgebung. Auch immer mehr Kanzleien entdecken die Vorteile von Multispace-Konzepten.

Ein lichtdurchflutetes Gemeinschaftssbüro mit 40 Arbeitsplätzen, ein Kreativraum mit Schaukel, Kojen, eine Lounge und Fokusräume. Das neue Büro der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungskanzlei Halpern & Prinz im Quartier Belvedere, einem aufstrebenden Viertel nahe des Wiener Hauptbahnhofs, ist der ganze Stolz von Stefan Hillbrand, Geschäftsführer und Partner der Kanzlei. Im Altbau am bisherigen Standort waren die 40 Mitarbeiter auf drei Stockwerke verteilt. Ein informeller Austausch fand kaum statt. Am neuen Standort wird dagegen eine Open Desk Policy gelebt: Alle Mitarbeiter können überall im Büro arbeiten. Jedem steht zwar ein Arbeitsplatz, aber kein fester Schreibtisch zur Verfügung. Abends müssen die Arbeitsplätze aufgeräumt hinterlassen werden. Nur das Backoffice und die Geschäftsführung samt Assistenz sitzen in eigenen Büros.

Dezentrales Arbeiten

In Agenturen und Technologieunternehmen sind moderne Multispace-Konzepte längst etabliert. In der Kanzleiwelt gehören sie heute noch zu den Ausnahmen. Allerdings findet auch dort inzwischen ein Umdenken statt. Mit der Veränderung der Arbeitsstrukturen wandeln sich auch die Anforderungen an das Büro.

Im Zuge der Digitalisierung verändern sich die Geschäftsmodelle. Dies fordert eine Anpassung der Organisations-, Team- und nicht zuletzt der Führungsstrukturen. Klassische Büros bieten dafür keine guten Voraussetzungen, denn in Zweierbüros bleiben Wissenstransfer, Kreativität und Innovationsfreude auf der Strecke. Doch es sind gerade diese Faktoren, die für Unternehmen immer wichtiger werden, während Prozessarbeit zunehmend digitalisiert wird und damit an Bedeutung verliert.

Büros auf dem Prüfstand

Vor allem die Home-Office-Erfahrungen der Mitarbeiter während der Corona-Pandemie haben viele Unternehmen, in denen die Mitarbeiter überwiegend „Wissensarbeit“ verrichten, dazu veranlasst, ihre Büros auf den Prüfstand zu stellen. Eine empirische Studie der TU-Darmstadt unter 1.000 „Wissensarbeitern“ in Deutschland kommt zu dem Ergebnis, dass durch die Erfahrung, die Führungskräfte und ihre Mitarbeiter in der Corona-Pandemie mit alternativen Settings zum Büro gemacht hätten, „der Nutzen eines funktionsfähigen Arbeits­platzes ebenso bewusst geworden ist wie die Grenzen mangelnder räumlicher Organisation“. Während die Mitarbeiter vorher die Schwächen ihres Büroarbeitsplatzes nicht erkannt oder als unveränderlich hingenommen hätten, gäbe es nun durch das Home Office Vergleichsmöglichkeiten. „Niemand kehrt gern in schlechte Büros zurück“, so die Autoren der Studie.

Die Arbeitsplätze aufzuhübschen reicht aber nicht. Die Rolle des Büros hat sich grundlegend verändert. „Die Arbeit ist kein Ort mehr, sondern ein Ergebnis“, lautet eine der Kernbotschaf­ten von Bernd Fels, Mitgründer und Geschäftsführer von If5, einem Beratungs- und Planungsbüro für Neue Arbeitswelten. Fels geht wie viele seiner Kollegen davon aus, dass das Büro zwar zukünftig der Mittelpunkt für den Zusammenhalt und die Zusammenarbeit ist, aber nur einer von vielen Orten, an denen gearbeitet wird. Das könne neben dem Home Office auch das Café oder die Parkbank sein. Denkbar seien auch andere Arbeitsorte wie die Anmietung eines Arbeitsplatzes in einem Coworking Center oder die Einrichtung von Work Hubs.

Neue Prozesse erfordern anderes Umfeld

Doch nicht nur wo wir arbeiten, verändert sich, sondern auch wie: Fels unterscheidet grundsätzlich zwischen drei Arbeitsformen: Prozessarbeit, Projektarbeit und Pionierarbeit. „Wir werden immer stärker in unterschiedlichen Konstellationen arbeiten. Gruppen- und Stillarbeit wechseln sich mit ko-kreativen Formaten ab, dafür braucht es die entsprechenden Räumlichkeiten, die die ,5Ks‘ abdecken: Kommunikation, Konzentration, Kollaboration, Kontemplation und Kreativität“, sagt Fels.

Das Konzept des „Activity-based Working“ orientiert sich an den unterschiedlichen Tätigkeiten der Mitarbeiter und ordnet diesen unterschiedlichen Arbeitsorte innerhalb eines sogenannten Multispace zu – einer überwiegend offenen Raumfläche, die in flexibel nutzbare Zonen unterteilt ist: der Einzelschreibtisch im Gemeinschaftsbüro für Routinearbeiten; Konferenzräume für den Austausch in der Gruppe; die Lounge für den informellen Austausch oder einfach, um Mails zu checken; Rückzugsräume für konzentriertes Arbeiten oder vertrauli­che Telefonate etc. Die Mitarbeiter wählen für die jeweilige Aufgabe den passenden Arbeitsort.

Durch die wechselnden Tätigkeiten innerhalb eines Tages verweilen die Mitarbeiter nur noch einen Bruchteil ihrer Arbeitszeit an einem Schreibtisch, sodass nicht mehr für jeden Einzelnen ein eigener Schreibtisch freigehalten werden muss. Hinzu kommt, dass sich Home Office inzwischen als fester Bestandteil der Arbeitswelt etabliert hat. Nicht alle Mitarbeiter kommen noch täglich ins Büro. Das Desksharing ermöglicht u.U. sogar, dass Bürofläche eingespart werden kann.

Kommunikationszentrum mit Wohlfühlfaktor

Bernhard Herzog, Partner beim Strategieberater für Arbeitswelten Moocon in Wien, erhielt bereits 2018 von Halpern & Prinz den Auftrag, ein neues Bürokonzept zu entwickeln mit dem Ziel, die Kommunikation zwischen den Abteilungen zu verbessern und Schnittpunkte für den Austausch zu schaffen. „Die Abteilungen sollen miteinander und nicht nebeneinanderher arbeiten“, sagt Geschäftsführer Stefan Hillbrand. Der Auftrag an Herzog und das zehnköpfige Projektteam mit Mitarbeitern der Kanzlei lautete: „Denkt offen, modern und neu.“

Je länger die Diskussion dauerte, desto größer wurden die Wünsche. Schließlich fiel die Entscheidung, an einem neuen Standort komplett neue Wege zu gehen. Was dabei herausgekommen ist, bezeichnet Herzog als „mutigen Schritt. Es gibt in Wien bislang ganz wenige Kanzleien, die in diese Richtung gehen“, sagt Herzog. Auch Auftraggeber Hillbrand ist sehr zufrieden: Das neue Büro werde gut von den Mitarbeitern angenommen. Selbst die Skeptiker seien inzwischen überzeugt.

Etwas ganz Neues ausprobieren wollte auch die Kanzlei Acconsis aus München: „Wie wollen wir in Zukunft arbeiten?“ Diese Frage stellte die Geschäftsführung vor drei Jahren ihren Mitarbeitern und forderte sie auf, sich mit ihren Ideen für Projektteams einer „Zukunftswerkstatt“ zu bewerben. Anstoß gab die Anmietung einer neuen 600 Quadratmeter großen Bürofläche in einem erweiterten Bürokomplex am Hauptsitz der Kanzlei in München.

Viele Ideen aus dem kanzleieigenen „Labor“ fanden später ihren Niederschlag im neuen Multispace der Kanzlei, der im Februar 2019 bezogen wurde. Die neuen Arbeitsplätze sind mit flexiblen Modulen wie Trennwänden, Vorhängen und Regalen unterteilt. Separate Ruhezonen ermöglichen ungestörtes Arbeiten. Die Projektgruppen der „Zukunftswerkstatt“ haben inmitten einer Sofalandschaft und Sitzsäcken ein neues Zuhause gefunden. Auf vier Mitarbeiter kommen drei Arbeitsplätze im neuen Büro.

„Früher war die Sitzordnung in der Kanzlei nach Geschäftsfeldern eingeteilt“, erläutert Verena Hoffmann, verantwortlich für das Marketing und die Kommunikation bei Acconsis. „Heute arbeiten wir in gemischten Teams und organisieren uns nach Arbeitsschwerpunkten. So sitzen im Team Immobilien die Kollegen aus dem Bereichen Finanzierung, Steuern und Recht zusammen. Im Team Nachfolge arbeiten auch Kollegen mit, die auf das Thema Start-up und Gründung spezialisiert sind.“

Wer nicht umziehen will, darf im Einzelbüro bleiben. Auch das Home Office bleibt für alle eine Option. „Wir bieten ein hybrides Arbeitsplatzkonzept an“, sagt Hoffmann. Das bedeutet, dass die Mitarbeiter selbst entscheiden können, wo sie arbeiten wollen. „Damit ermöglichen wir ihnen ein Arbeitsumfeld, in dem sich wohlfühlen und produktiv sein können.“ Das sei ein echter Vorteil im hart umkämpften Markt für Talente, versichert Hoffmann.

Kulturwandel braucht Zeit

Längst nicht alle Mitarbeiter können sich für das Konzept „Multispace“ begeistern. Besonders langjährigen Mitarbeitern und denen mit schönen Einzelbüros fällt der Umzug häufig schwer. „Der eigene Schreibtisch ist nach wie vor ein sehr emotionales Thema“, weiß Berater Bernhard Herzog. „Dort steht das Bild des Partners oder der Familie. Dieses Stück ‚Heimat‘ aufzugeben löst im ersten Schritt oft das Gefühl mangelnder Wertschätzung durch den Arbeitgeber aus.“ Daher sollten die Mitarbeiter von Anfang an intensiv in das Projekt eingebunden werden. Bei der Gestaltung der Bürofläche sei es wichtig, ihnen bereits bei der Ankunft im Büro das Gefühl zu vermitteln, zu Hause zu sein.

„Manche Dinge müssen sich erst einmal über einen gewissen Zeitraum entwickeln“, ergänzt New-Work-Experte Fels. Es müsse auch nicht immer alles perfekt bis zu Ende geplant sein. Schleifen gehörten zum Veränderungsprozess dazu. „Wir haben jetzt die Chance, ein ‚Better Normal‘ zu erreichen, indem wir Möglichkeiten schaffen, die zur Nutzenmaximierung jedes Einzelnen führen.“ Die Aufgabe der Organisation sei es, die Mitarbeiter zu mobilisieren und richtig zu orchestrieren. Mitarbeiterführung werde dadurch anspruchsvoller. „Das ist nicht leicht, aber darin stecken viele Chancen“, sagt Fels.

Auch bei Acconsis ist mit dem Umzug in das neue Büro die Arbeit der Projektteams noch lange nicht abgeschlossen. Der Umbau von einer klassischen Kanzlei zum modernen Dienstleistungsunternehmen hat gerade erst begonnen. Sobald es das Pandemiegeschehen wieder zulässt, will das Team der „Zukunftswerkstatt“ seine Arbeit fortsetzen.

Illustration: Stefanie Schwary

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