Neue Kanzleimodelle

Beitrag von: Ulrike Lüdke
30. Dezember 2019

Der Umbruch des Rechtsmarktes ist in vollem Gange. Veränderte Mandantenbedürfnisse und die fortschreitende Digitalisierung revolutionieren Arbeitsprozesse und Geschäftsmodelle. Legal-Tech-Unternehmen schießen wie Pilze aus dem Boden. Kanzleien gründen eigene Labs, veranstalten Hackathons oder beteiligen sich gleich direkt an Start-ups. In der schönen neuen Kanzleiwelt wird kundenorientierter, spezialisierter, schneller und kostengünstiger gearbeitet. Hat das klassische Kanzleimodell bald ausgedient? Und welche Chancen ergeben sich für mittelständische Kanzleien?

„Was wir derzeit beobachten ist die Industrialisierung des Rechts“, sagt Felix Rackwitz, Managing Director bei TPR Legal, einem Hybrid aus Kanzlei und IT-Beratungsunternehmen. Mit „Industrialisierung“ meint Rackwitz – in Anlehnung an die von Legal-Tech-Pionier Stephan Breidenbach entwickelte Fabrik-Methapher – die Standardisierung juristischer Wertschöpfungsprozesse auf hohem Niveau. Dabei werden die Wertschöpfungsketten der Kanzleien in ihre Einzelteile zerlegt, neu zusammengesetzt und digitalisiert. Aufgaben, die nicht zur Kernkompetenz der Kanzlei gehören oder nur wenig Know-how erfordern, aber in der Regel viel Zeit kosten, werden an andere Dienstleister ausgelagert oder durch den Einsatz neuer intelligenter Softwareanwendungen standardisiert. Zur Disposition stehen u.a. ein Teil der Anwalt-Mandanten-Kommunikation, die Erstellung von Verträgen, die Dokumentenverwaltung, die Recherche, Compliance-Prozesse und „Internal Investigation“.

Gleichzeitig entstehen mit Legal-Tech-Plattformen neue Player am Markt, die Leistungen wie das Eintreiben von Forderungen, die Erstellung von Verträgen (Smartlaw) oder das Einklagen von Mieter- und Verbraucherrechten (z.B. Wenigermiete.de, Flightright) weitestgehend standardisiert und digitalisiert haben.

„Das Modell der Leistungserbringung von Kanzleien ähnelt immer stärker dem von Unternehmen“, erklärt Rackwitz. Ein wesentlicher Treiber sind veränderte Kundenbedürfnisse. Der Kostendruck der Mandanten drängt die Kanzleien zur Optimierung ihrer Prozesse. Wie ihre Kunden stehen sie nun selbst vor einer Make-or-Buy-Entscheidung. „Wo setze ich welche Ressource und Technologie optimal ein?“, sei die zentrale Frage, die sich die Kanzleien stellen müssten, um ihre Geschäftsmodelle für die Zukunft fit zu machen, so Rackwitz, der selbst viele Jahre als Rechtsanwalt in einer Großkanzlei gearbeitet hat, inzwischen aber Rechtsabteilungen und Kanzleien bei der Entwicklung und Umsetzung ihrer „Legal Operations“-Funktionen begleitet.

Branchenführer investieren in Innovation

Insbesondere Großkanzleien stehen unter Druck, aufgrund ihrer teuren Infrastruktur die Kostenquote zu verringern. Sie legen sich Legal-Tech-Arme zu oder investieren gemeinsam in neue Technologien. Beispiel Clifford Chance: 2018 investierte die Großkanzlei gemeinsam mit einem Konsortium aus global führenden Kanzleien (darunter Latham & Watkins, Linklaters und Freshfields Bruckhaus Deringer) in das 2017 gegründete Start-up Reynen Court, das über eine Plattform Cloud-basierte Softwareanwendungen für Rechtsdienstleister anbietet. Ende vergangenen Jahres wurden ein „Legal Tech Innovation Lab“ am Standort Singapur sowie die Chance Tech GmbH gegründet, eine Tochtergesellschaft, die mit dem Softwareanbieter Evana neue digitale Lösungen für die Bereiche M&A und Gesellschaftsrecht erarbeitet. Freshfields forscht seit knapp einem Jahr mit einem gemischten Team aus Juristen und Technologieexperten vom Start-up-Campus Factory Berlin aus an neuen Legal-Tech-Lösungen. Und Baker McKenzie gehört seit dem Frühjahr 2018 zu den Gründungspartnern von „ReInvent Law“, einem Legal Innovation Hub, an dem u.a. auch Bosch, Daimler und Wolters Kluwer beteiligt sind. Neben der Entwicklung von neuen digitalen Lösungen und Produkten steht auch die Professionalisierung des Managements bei den Branchenführern längst auf der Tagesordnung. So sorgen Chief Operating Officers (COOs) für die Optimierung der internen Abläufe und Strukturen; „Innovation und Knowledge Director“ oder „Manager Legal Operations“ treiben die Digitalisierung in den Kanzleien voran.

Große Chancen auch für Kleine

Mittelständische Kanzleien können da nicht mithalten. Sie verfügen weder über die Manpower noch über die finanziellen Ressourcen. Dennoch gibt es zahlreiche Beispiele dafür, dass sich auch die Mittelstandskanzleien bereits auf den Weg in das neue digitale Zeitalter gemacht haben. „Neue technologische Möglichkeiten wie intelligente Plattformen, Cloud-basierte Software, Chatbots, Künstliche Intelligenz (KI) und Blockchain verschaffen den Berufsträgern zum einen mehr Zeit für anspruchsvolle juristische Beratungsleistungen, zum anderen befördern sie die Segmentierung des Marktes“, stellt Rackwitz fest. Auch kleinere Kanzleien haben dank der Digitalisierung nun die Chance, in ihrer Nische auf dem Niveau der Großkanzleien mitzuspielen.

Beispiel Skye Partners: Die Rechtsanwälte Christoph O. Breithaupt und Holger Scheer haben mehr als 25 Jahre lang Transaktionserfahrung in Großkanzleien gesammelt. Im Februar 2018 gründeten sie Skye Partners. Die Kanzleiboutique ist auf die Beratung von Private-Equity- und Venture-Capital- Investoren, grenzüberschreitende M&A-Transaktionen und Corporate Financing spezialisiert. Der Anspruch der beiden Gründungspartner: Sie wollen als Boutique ihren Mandanten den gleichen Service wie eine internationale Großkanzlei anbieten. Die Lösung: Der gesamte Transaktionsprozess wird in einzelne Arbeits- und Fachbereiche aufgeteilt. Das Kernteam von Skye Partners konzentriert sich dabei auf die gesellschaftsrechtliche und die M&A-Beratung. Für die Beratung in Spezialdisziplinen wie IT/IP, Arbeitsrecht, Real Estate oder für die kartellrechtliche Beratung werden Kooperationspartner mithilfe einer speziellen Software für Projektsteuerung und einer webbasierten Plattform in die Einheit von Skye Partners integriert. Dabei werden die Kooperationen nicht ad-hoc vereinbart, wie es bei Kanzleinetzwerken üblich ist, sondern transaktionsunabhängig in unbefristeten Verträgen geschlossen.

Derzeit arbeitet Skye mit rund 72 Kooperationspartnern aus anderen Fachbereichen und Jurisdiktionen zusammen. Um Konkurrenzsituationen zu vermeiden, handelt es sich bei den Kooperationspartnern selbst zu einem großen Teil um spezialisierte Boutiquen oder um Kanzleien, die hierzulande nicht mit einem eigenen Sitz vertreten sind. Positiver Nebeneffekt: Die Partner können sich gegenseitig Mandate vermitteln.

Plattform sorgt für Effizienz

Die Abrechnung der geleisteten Stunden nehmen die Kooperationspartner, mit denen fixe Stundensätze und für jede Transaktion bei Bedarf zudem ein Unterbudget vereinbart werden, direkt im System von Skye Partners vor. „Innerhalb von 24 Stunden müssen die Billable Hours eingetragen sein“, erklärt Breithaupt, „dadurch haben wir 100-prozentige Kostentransparenz zu jeder Zeit.“ Der Mandant könne mittels eines eigenen Zugangs und eines einheitlichen Dokumentenmanagementsystems sowohl den aktuellen Stand der Transaktion als auch seines Budgetkontos jederzeit einsehen, versichert Breithaupt. Die neue Technologie spart Kosten und ist effizient sowohl für die Kanzlei als auch für den Mandaten, da die Teams individuell und auf das Mandat zugeschnitten zusammengestellt werden können.

Entwickeln mit dem Mandanten

Auch die Kanzlei SKW Schwarz ist dabei, sich mit ihrer Legal-Tech-Strategie in einer Nische zu positionieren. Sie gehört mit 130 Mitarbeitern in Deutschland zu den mittelständischen Kanzleien. Seit 2016 steht das Thema Digitalisierung oben auf der Agenda. Zunächst wurde im Rahmen von Veranstaltungen der Austausch mit Legal Tech-Unternehmen initiiert. Seit dem vergangenen Jahr entwickelt die Wirtschaftskanzlei im eigens gegründeten Legal-Tech-Arm SKW Schwarz@tech GmbH gemeinsam mit ihren Mandanten und Legal-Tech-Partnern wie Bryter und Smashdocs Lösungen und Tools, die die Prozessabläufe innerhalb des Unternehmens, aber auch zwischen der Kanzlei und den Mandanten optimieren sollen. Langfristig soll das Thema Legal Tech über die ganze Breite der Rechtsberatung ausgerollt werden. Zwei Drittel der Anwälte von SKW Schwarz arbeiten in technologiebezogenen Rechtsgebieten und haben z.T. schon selbst Software entwickelt. „Wir beraten viele Unternehmen, die selbst neue Geschäftsmodelle verfolgen. Das bedeutet, dass auch wir viel experimentieren und mitunter Rückschläge einstecken müssen“, sagt Dr. Stephan Morsch, Partner bei SKW Schwarz.

Die Produktentwicklung erfolgt derzeit in erster Linie auf eigene Rechnung. Das neue Legal-Tech-Beratungsfeld stellt nicht nur die gewohnten Arbeitsabläufe, sondern auch das etablierte Honorarmodell auf den Kopf. „Auf Stundenbasis lässt sich ein solches Projekt nicht abrechnen“, erklärt Morsch. „Wir sehen unseren Aufwand eher als Investition in die Zukunft.“ Bezogen auf den Gesamtumsatz von SKW Schwarz, spielt der neue Geschäftsbereich wirtschaftlich zwar noch eine untergeordnete Rolle, der strategischen Bedeutung ist sich Morsch jedoch gewiss.

Neue Ära für juristische Dienstleistungen

„Derzeit sehen wir die Entstehung neuer Ökosysteme von Kanzleien mit vielen neuen und unterschiedlichen Ansätzen“, sagt Rackwitz mit Blick auf die neuen Entwicklungen am Rechtsmarkt. Langfristig geht der Technologieexperte davon aus, dass die Kanzleigröße ab und Kooperationen in der Branche zunehmen werden. Nie sei die Chance im Rechtsmarkt, sich neu zu erfinden, so groß gewesen wie heute, findet Rackwitz. Im Umkehrschluss bedeutet dies wohl allerdings, dass Transformationsverweigerer Gefahr laufen, vom Markt zu verschwinden.

Illustration: 123rf.com/Bearbeitung: Stefanie Schwary

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