„Die Sicht auf potenzielle Investitionsrisiken hat sich geändert“

Beitrag von: Andreas Knoch
9. Dezember 2021

Die durch Covid-19 ausgelöste Schockstarre im M&A-Geschäft währte nur kurz. Inzwischen schickt sich der Markt an, neue Rekorde aufzustellen. Im M&A-Prozess selbst hat die Corona-Pandemie allerdings Spuren hinterlassen. Welche das sind, erläutert Ralph Hagelgans, geschäftsführender Gesellschafter des Beratungshauses Livingstone.

Herr Hagelgans, das M&A-Jahr 2021 ist fast zu Ende. Wie sieht Ihr Resümee aus und was wird 2022 für das Geschäft mit Fusionen und Übernahmen bringen?

Ralph Hagelgans: Das M&A-Geschäft boomt. Vom Deal-Volumen her dürfte 2021 das Pre-Covid-Jahr 2019 übertreffen. Der Risikoappetit der Investoren kam nach dem kurzen und hef­tigen Einbruch im zweiten Quartal 2020 relativ schnell wieder zurück – und hält bis dato an. Sehr aktiv sind vor allem Finanzinvestoren, die auf hohen Cash-Beständen sitzen. Die Rah­menbedingungen sind im Vergleich zu Vor-Pandemie-Zeiten aber auch dieselben: viel billiges Geld und inzwischen auch wieder recht ordentliche Wachstumsraten. Das Umfeld dürfte uns im kommenden Jahr erhalten bleiben – bei einigen Risiken, wie einer höheren Inflation und schärferen Finanzierungskonditionen. Ich erwarte für 2022 ein gutes M&A-Jahr.

Wie hat die Pandemie Ihrer Meinung nach das M&A-Geschäft verändert?

RH: Wir haben nach wie vor eine recht große Unsicherheit im Markt, was die langfristigen wirtschaftlichen Folgen von Covid-19 sind, wobei das von Branche zu Branche differiert. Ein Ergebnis dessen ist, dass sich Unternehmen auf ihr Kerngeschäft fokussieren und Randbereiche sowie unrentable Sparten veräußern. Wir werden deshalb in den kommenden Monaten mehr Carve-outs und Spin-offs sehen. Zu dieser Entwicklung trägt bei, dass die Banken besonders von der Pandemie betroffene Branchen nicht mehr im gleichen Volumen wie bisher weiter finanzieren. Mit dem Verkauf von Randbereichen werden deshalb auch Finanzierungsstrukturen bereinigt. In vielen Unternehmen steht schließlich die Refinanzierung der oftmals recht üppigen Corona-Hilfen an. Es gibt aber auch Veränderungen im M&A-Prozess selbst.

Welche sind das?

RH: Die Unternehmensanalysen der Käufer sind viel komplexer geworden, weil die Beurteilung der Aussichten und der Leistung eines Unternehmens im gegenwärtigen Wirtschaftsumfeld schwieriger ist. Das große Thema, das uns nach Covid-19 sicherlich erhalten bleibt, ist Prognoseunsicherheit. Die Sicht auf potenzielle Investitionsrisiken hat sich geändert. Im verarbeitenden Gewerbe bspw. werden Lieferketten viel kritischer beleuchtet. Gibt es eine zweite, nicht-asiatische Sourcing-Quelle? Wie sieht die Versorgungssicherheit bei Rohstoffen und Vorprodukten aus? Solche und ähnliche Fragen haben heute einen höheren Stellenwert im Verkaufsprozess. Viele Investoren arbeiten mittlerweile auch mit deutlich breiter angelegten Zukunftsszenarien. Wer 2019 einen Eventmanager gekauft hat, hat heute natürlich einen anderen Blick auf solche Geschäftsmodelle. Auf der anderen Seite werden Unternehmen in der Grundversorgung der Bevölkerung inzwischen deutlich positiver gesehen als noch vor zwei Jahren. Gleichzeitig wird die zur Verfügung stehende Zeit für eine Due Diligence wegen des heiß gelaufenen Marktes eher kürzer. Das klingt paradox, ist aber so.

Was heißt das für die bei einem Verkauf erzielbaren Bewertungen?

RH: Auch da hat es eine Neujustierung gegeben. In Branchen, die von Covid-19 profitieren, sind die Multiples teils deutlich gestiegen. Hierzu zählen bspw. Pharma und Healthcare, aber auch IT. Sektoren, die negativ durch Covid-19 betroffen sind, müssen hingegen mit Abschlägen leben. Dort wird inzwischen oftmals ein sogenanntes Pre-Covid-Ebitda als Bewertungsmaß­stab herangezogen. Damit versuchen einerseits die Verkäufer und ihre Berater, andererseits aber auch die Investoren, die direkten Auswirkungen der Pandemie auf das Geschäftsmodell zu erfassen, um realistische und vom Augenblick unbeeinflusste Kaufpreise zu ermitteln. Wo das nicht gelingt, kommen häufig Besserungsscheine zum Einsatz. Dahinter steckt der Wunsch, die deutlich höhere Unsicherheit, ob ein Geschäftsmodell wieder Fuß fasst, zwischen Verkäufer und Käufer zu teilen. Bleiben Umsatz und Ergebnis also langfristig hinter dem Vorkrisenniveau zurück, erhält der Käufer einen Ausgleich. Diese Strukturen finden sich insbesondere in Sektoren, die einer insgesamt veränderten Investoreneinschätzung unterliegen, wie Automotive, aber auch in der Touristik und im Einzelhandel. Darüber hinaus werden Nachhaltigkeitskriterien von den Investoren stärker gewichtet – ein Thema, das durch Covid-19 ins Rampenlicht gerückt ist.

Was hat das mit Covid-19 zu tun?

RH: Studien zeigen, dass Unternehmen mit einer starken ESG-Erfolgsbilanz nachweislich widerstandsfähiger gegenüber externen wirtschaftlichen Schocks sind und sich in der Pandemie mit ihren Begleiterscheinungen besser geschlagen haben. Vor diesem Hintergrund werden die Berücksichtigung ökologischer und sozialer Kriterien sowie die in den Un­ternehmen etablierten Führungsstrukturen und -prozesse – also das, was man gemeinhin unter Environmental, Social und Governance (ESG) zusammenfasst – immer wichtiger. Globale Anliegen wie Energieeffizienz, Vielfalt und Inklusion sowie geschäftliche Transparenz stehen nun ganz oben auf der Agenda. Unternehmen mit Defiziten in diesen Bereichen werden künftig Schwierigkeiten bekommen, Geldgeber zu finden. Vor allem im Mittelstand, wo unser Schwerpunkt liegt, gibt es da noch Defizite.

Foto: Livingstone

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