ESG: Aufhübschen reicht nicht

Beitrag von: Andre Wassmann
27. Januar 2022

Lange wurde das Thema „Nachhaltigkeit“ in Unternehmen vernachlässigt und Maßnahmen zu mehr Klimaschutz, unternehmerischer Sozialverantwortung und Governance wurden auf die lange Bank geschoben. Das könnte sich in einem Transaktionsprozess rächen.

Unternehmen werden heutzutage nicht nur an ihren Umsatzzahlen gemessen, sondern müssen sich auch beim Thema ESG (Environment, Social, Governance) beweisen. Die Kriterien, an denen die ESG-Konformität oder der Beitrag zur Nachhaltigkeit gemessen werden, befinden sich aktuell zwar noch in der Entwicklung. Doch erste Konzepte wurden regulatorisch bereits skizziert und nehmen schon heute Einfluss auf die Unternehmensbewertung.

Die neuen Regularien und Informationspflichten machen den Weg frei für den prüfenden Blick der Öffentlichkeit. Unternehmen sind längst nicht mehr nur mit den rein wirtschaftlichen Folgen von ESG-Verstößen konfrontiert. Oftmals wiegt der Reputationsverlust als Folge von Negativschlagzeiten bspw. beim Thema Klimaschutz weitaus schwerer, wie sich an den Kapitalmarktbewertungen großer Ölkonzerne immer wieder nachvollziehen lässt.

ESG-Due-Diligence unverzichtbar

Aus dem zunehmenden „ESG-Druck“ resultiert in kleinen wie in großen Unternehmen ein zusätzlicher Analyse- und Beratungsbedarf in Form einer ESG-Due-Diligence. Bei Fusionen und Übernahmen verkörpert sie inzwischen einen eigenständigen „Workstream“ des Trans­aktionsprozesses und stellt nicht nur das Unternehmen selbst, sondern auch die Branche der Transaktionsberater vor neue Herausforderungen. Bei Fremdkapitalfinanzierungen nimmt die ESG-Konformität Einfluss auf die Verzinsung, weil sich auch Geldgeber künftig verstärkt für die ESG-Ausrichtung ihrer Kreditportfolios verantworten müssen. Die Ergebnisse der ESG-Due-Diligence beeinflussen daher schon heute den Unternehmenswert und die Kaufpreisfindung.

So verwundert es kaum, dass sich die ESG-Ratings zahlreicher Anbieter steigender Beliebtheit erfreuen. Diese werden neben etablierten Ratingagenturen wie Moody’s, Fitch und S&P auch von Datenanbietern wie bspw. Bloomberg vergeben. Problematisch hierbei ist die derzeit noch geringe Vergleichbarkeit der Ratings, da sich bislang kein einheitlicher Standard bzw. Ratingprozess etabliert hat. Es ist aber davon auszugehen, dass sich in absehbarer Zeit zumin­dest eine teilweise Harmonisierung und größere Transparenz einstellen werden.

Geschäftsmodelle weiterentwickeln

Was aber, wenn das vorhandene Geschäftsmodell kein Potenzial im Bereich Klimaschutz hat? Nicht nur traditionelle Industrieunternehmen, sondern auch Fintechs können sich bei der Realisierung der ESG-Kriterien schwertun. Je nach Entwicklungsphase und Größe des Unternehmens kommen jeweils unterschiedliche Transformationsmaßnahmen infrage. Für alle Player ist es jedoch unverzichtbar, die komplette Unternehmensstruktur auf ESG-Konformität und mögliche Veränderungsansätze hin zu untersuchen. Entscheidend ist dabei der ganzheitliche Blick: Wo Klimaschutz nur schwer umsetzbar ist, können Unternehmen womöglich mit sozialen Faktoren und nachhaltiger Unternehmensführung punkten.

Ein weiterer Ansatz: In so gut wie allen Unternehmensphasen können erste Erfolge mittels M&A-Transaktionen erreicht werden. Ein Zukauf kann in den meisten Fällen die dringend benötigten ESG-Kompetenzen in die eigene Organisation holen. Ein Vorteil besteht darin, die spe­zifischen Stärken des neuen Corporate- Partners als Katalysator für die Trans­formation und Weiterentwicklung des eigenen Geschäftsmodells zu nutzen.

Zeit ist Geld

Spätestens bei Exit-Prozessen macht sich das ESG-Level im Geldbeutel deutlich bemerkbar. Verkäufer müssen sich der Frage stellen, ob ihr Unternehmen oder bestimmte Geschäftsfelder mittelfristig überhaupt noch verkäuflich oder finanzierbar sind. Konkret bedeutet dies für den Transaktionsprozess schon jetzt eine Verlängerung der Vorbereitungsphase. Versäumnisse mit Blick auf die Erfüllung der ESG-Anforderungen sollten während dieser Zeit weitgehend beseitigt werden. Ansonsten resultieren sie in der Due-Diligence-Phase in deutlichen Ab­schlägen auf den Kaufpreis oder in empfindlichen Auflagen für das Closing bzw. in der Phase danach. Möglicherweise fordert der Käufer auch Garantien und Freistellungen vom Verkäufer.

Der Erfolg einer Transaktion wird künftig noch viel stärker an qualitativen Faktoren gemessen als bisher. Es reicht also nicht, die Braut aufzuhübschen. Unternehmer sollten frühzeitig ihre gesamte Organisation kritisch durchleuchten und Defizite im Bereich ESG identifizieren und rechtzeitig angehen. Dafür braucht es ein Umdenken: ESG-Konformität ist nicht nur für alle Verkäufer und Finanzinvestoren ein wichtiges Kriterium bei der Investitionsentscheidung, sie trägt auch zur langfristigen Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Unternehmens und seiner Mitarbeiter in einer zukunftsorientierten, ökologischen Marktwirtschaft bei.

Illustration: 123rf.com/cienpies

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