Mensch, lass los!

Beitrag von: Nils Koerber
17. Dezember 2020

Familienunternehmer haben zu ihrer Firma eine ganz besondere Beziehung. Das macht die Übergabe an die nächste Generation so schwierig. Wie der Übergang trotzdem gelingt – zum Wohl des Unternehmers, der Nachfolger und natürlich des Betriebs.

Unternehmersein ist nicht bloß Broterwerb, es ist gleichermaßen Identität und Lebenssinn. Diese starke emotionale Bindung erklärt die Schwierigkeit des Loslassens. Emotionen haben in der Übergabe einen hohen Stellenwert. Laut einer Studie des DIHK verhindern vor allem Altinhaber den Übergang, weil sie „emotional nicht loslassen“ können. 41 Prozent der Senior-Unternehmer fordern auch deshalb einen überhöhten Kaufpreis. Um diese Emotionen in den Nachfolgeprozess einzupreisen, reicht es mit Sicherheit nicht, einen Euro-Wert für die Firma zu benennen und mit einem festen Handschlag zu besiegeln. Wer so denkt, macht es sich zu einfach. Ein gelingender Nachfolgeprozess verlangt vom Übergebenden große Klarheit. Die entsteht durch einen reflektierten und langfristigen Prozess, in dem sowohl der monetäre als auch der ideelle Wert des Unternehmens anerkannt werden.

Was kommt danach?

Mit diesem Verständnis wird es für Unternehmer und für Nachfolger einfacher zu erkennen, warum das Loslassen ein schwieriger Prozess ist, wahrscheinlich einer der Schlüsselprozesse des unternehmerischen Lebens. Wer das begriffen hat, weiß auch, wie wichtig ein neuer Lebenssinn für den Loslassenden ist. Mit der Antwort auf die Frage „Was kommt danach?“ steht und fällt alles. Die Übergabe öffnet einen neuen Raum: Unternehmer dürfen jetzt all das tun, was bisher brach lag.

Der ewige Kreislauf

Loslassen ist auch verbunden mit der existenziellen Herausforderung, Macht und Kontrolle abzugeben. Wenn der Unternehmer nicht loslässt, kann niemand übernehmen. Solange er festhält, steht ein Nachfolger mit leeren Händen da. Wenn er nicht vertraut, dass seine Kinder oder Nachfolger es gut machen, auch (oder gerade) weil sie es ganz anders machen, dann werden sie scheitern. Der ewige Kreislauf aus „Ich kann nicht loslassen, weil mein Nachfolger nicht kompetent ist“ und „Ich kann nicht führen, weil der Alte immer dazwischen grätscht“ füllt Nachfolgeberatern zwar die Auftragsbücher. Er behindert dabei aber maßgeblich Wirtschaftswachstum, führt zum Schwund des Mittelstandes und hinterlässt verbrannte Erde, wo Kreativität und Innovation wachsen könnten.

Angela Merkel sagte in ihrer bemerkenswerten Rede vor Harvard-Absolventen im Mai 2019: „Der Moment der Offenheit ist auch ein Moment des Risikos. Das Loslassen Alten gehört zum Neuanfang dazu. Es gibt keinen Anfang ohne ein Ende, keinen Tag ohne die Nacht, kein Leben ohne den Tod. Unser ganzes Leben besteht aus der Differenz, aus dem Unterschied zwischen dem Beginnen und dem Beenden. Das, was dazwischenliegt, nennen wir Leben und Erfahrung.“

Offen für Neues

Es ist ein Zeichen von Demut und Dankbarkeit, diese Differenz zu akzeptieren. Sich bewusst dem Risiko des Loslassens auszusetzen und offen für Neues zu sein. Mit einem dankbaren Blick auf das Leben und die gemachten Erfahrungen den Prozess des Übergangs angemessen zu würdigen. Daraus entstehen der Wunsch, etwas zurückzugeben, und das Verständnis: Es geht bei alldem nicht um mich. Ich erkenne, dass ich meine Person zurücknehmen und mich in den Dienst der Sache, des Unternehmens, stellen darf. Und das mit Offenheit, Toleranz, Mut und vor allem: mit genügend Zeit.

Illustration: 123rf.com/Timplaru Ovidiu

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