Vom Finanzinvestor wachgeküsst

Beitrag von: Broder Abrahamsen
16. Juni 2021

Ideen für Innovationen gab es bei Vitrulan viele. Aus eigener Kraft konnte das Familienunternehmen neue Märkte jedoch nicht erschließen. Mit einer Buy-and-Build-Strategie kam der Mittelständler wieder auf Erfolgskurs.

Die Vitrulan-Gruppe in Marktschorgast bei Kulmbach in Oberfranken kann auf eine lange Geschichte zurückschauen. Seit der Gründung 1896 hat sich das Familienunternehmen innerhalb von drei Generationen zu einem der füh­renden Hersteller von Glasfasertapeten und Unterputzarmierungen in Europa entwickelt. Wegen einer ungeklärten Nachfolge und einiger Fehlschläge bei der Einführung von Neuprodukten fiel das Unternehmen aber ab 2010 in eine Art Dornröschenschlaf: Neuentwick­lungen verschwanden in der Schubla­de und notwendige Strategieentschei­dungen wurden verschoben.

In dieser Situation erwarb die Mittel­standsholding Adcuram Group AG im Jahr 2016 die Mehrheit an Vitrulan. Das Unternehmen bestand zu diesem Zeit­punkt aus zwei operativen Gesellschaften: der Vitrulan Textile Glass GmbH (VTG) mit Fokus auf Glasfasertapeten und der Vitrulan Technical Textiles GmbH (VTT), die im wesentlichen Unterputzarmierun­gen herstellte, in der aber schon erste An­sätze für das Geschäft mit technischen Textilien erkennbar waren.

Neuer Schwung

Mit dem Einstieg der Industrieholding und dem Engagement einer professio­nellen externen Geschäftsführung be­gann bei Vitrulan eine rasante Entwick­lung: Die erfolgreiche Markteinführung einiger vielversprechender Innovationen wie bspw. eines Niedervolt-Heizgewebes, einer glatten Akustikdecke (VTG) sowie neuer technischer Textilien (VTT) zeigte das Potenzial des Glasfaserwebers. Da die internen Ressourcen begrenzt waren, ent­wickelte die Geschäftsführung gemein­sam mit dem Finanzinvestor eine Wachs­tumsstrategie, die im Wesentlichen auf der Stärkung des eigenen Vertriebsteams sowie auf strategischen Zukäufen basierte. Um geeignete Akquisitionsziele zu finden, wurden Kriterien zusammengestellt, die die potenziellen Targets nach Möglichkeit erfüllen sollten (siehe Grafik).

Das perfekte Ziel

In zahlreichen Workshops wurde eine Liste von interessanten Zielunternehmen entwickelt. Vom kleineren deutschen Mittelständler bis zu Konzerntöchtern schienen viele Kandidaten geeignet. In einer konzertierten Ansprache ermittel­te das M&A-Team des Finanzinvestors die jeweilige Gesprächsbereitschaft der Eigentümer. Schnell kristallisierten sich drei Zielunternehmen heraus, bei denen ein Zukauf möglich erschien. Aus diesen drei wiederum ragte das finnische Tech-Tex-Werk des Ahlstrom-Munksjö-Kon­zerns heraus: Mit einem Umsatz von 30 Mio. EUR, dem Zugang zu neuen Märk­ten und Technologien sowie einem eige­nen Vertriebsteam bot es offensichtlich die perfekte Voraussetzung, um Vitru­lan auf eine neue Entwicklungsstufe zu heben. In einer dreimonatigen Due Di­ligence bestätigte sich dieser Eindruck, sodass Vitrulan nach kurzen Verhand­lungen am 31. Dezember 2019 den er­folgreichen Zukauf des Standorts Mikke­li vermelden konnte. Mit der Akquisition gewann der Glasfaserweber Kompeten­zen in der Verarbeitung von Carbonfa­sern und der Herstellung von Multiaxi­algelegen und erhielt Zugang zu neuen, attraktiven Marktsegmenten wie dem Schiffbau und der Windenergie.

Herausforderung: Post-Merger-Integration

Die erfolgreiche Integration des Stand­orts Mikkeli gestaltete sich jedoch schwieriger als erwartet. Auf operativer Ebene lief die Verständigung hervorra­gend und die jeweiligen Technologien der beiden Unternehmen ergänzten sich sogar noch besser als erwartet. Die In­tegration der hochgradig angepassten IT-Umgebung eines finnischen Kon­zerns in die eher standardisierte SAP-Welt erwies sich jedoch als besondere Herausforderung – nicht zuletzt, weil der Konzern parallel zu diesem Pro­jekt auch noch selbst eine Aktualisie­rung seiner IT-Landschaft vornahm. Zudem ließen die Corona-Maßnah­men Finnlands und Deutschlands we­niger persönliche Interaktion zu, als für eine reibungslose Integration nötig ge­wesen wäre. Als Konsequenz ergaben sich Verzögerungen und Hindernisse, sodass nur durch eine konzertierte Ak­tion der Vitrulan-IT-Mannschaft, des erfahrenen neuen kaufmännischen Lei­ters und eines Integrationsexperten ein fristgerechter Projektabschluss erreicht werden konnte.

Heute, 16 Monate nach dem Erwerb des Standorts Mikkeli, ist Vitrulan als Un­ternehmensgruppe gut aufgestellt und verfügt über ein neues und zugleich er­fahrenes Management. Innovationen ste­hen wieder im Fokus. Mit dem Zukauf und durch die neuen Produkte hat sich das Unternehmen neue Wachstumsfel­der erschlossen – insbesondere im Tech-Tex-Segment, mit mehr technologischer Kompetenz, einem stärkeren Vertrieb und einem internationalen Fabriknetz­werk, das den Kunden einen optimalen Service bietet. Aus dieser Position der Stärke heraus wird Vitrulan weiter nach Partnerschaften und Zukaufmöglichkei­ten suchen, um seine Aufstellung fortlau­fend zu verbessern.

Illustration: 123rf.com/Pishit Kamsink

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