Ideen für Innovationen gab es bei Vitrulan viele. Aus eigener Kraft konnte das Familienunternehmen neue Märkte jedoch nicht erschließen. Mit einer Buy-and-Build-Strategie kam der Mittelständler wieder auf Erfolgskurs.
Die Vitrulan-Gruppe in Marktschorgast bei Kulmbach in Oberfranken kann auf eine lange Geschichte zurückschauen. Seit der Gründung 1896 hat sich das Familienunternehmen innerhalb von drei Generationen zu einem der führenden Hersteller von Glasfasertapeten und Unterputzarmierungen in Europa entwickelt. Wegen einer ungeklärten Nachfolge und einiger Fehlschläge bei der Einführung von Neuprodukten fiel das Unternehmen aber ab 2010 in eine Art Dornröschenschlaf: Neuentwicklungen verschwanden in der Schublade und notwendige Strategieentscheidungen wurden verschoben.
In dieser Situation erwarb die Mittelstandsholding Adcuram Group AG im Jahr 2016 die Mehrheit an Vitrulan. Das Unternehmen bestand zu diesem Zeitpunkt aus zwei operativen Gesellschaften: der Vitrulan Textile Glass GmbH (VTG) mit Fokus auf Glasfasertapeten und der Vitrulan Technical Textiles GmbH (VTT), die im wesentlichen Unterputzarmierungen herstellte, in der aber schon erste Ansätze für das Geschäft mit technischen Textilien erkennbar waren.
Neuer Schwung
Mit dem Einstieg der Industrieholding und dem Engagement einer professionellen externen Geschäftsführung begann bei Vitrulan eine rasante Entwicklung: Die erfolgreiche Markteinführung einiger vielversprechender Innovationen wie bspw. eines Niedervolt-Heizgewebes, einer glatten Akustikdecke (VTG) sowie neuer technischer Textilien (VTT) zeigte das Potenzial des Glasfaserwebers. Da die internen Ressourcen begrenzt waren, entwickelte die Geschäftsführung gemeinsam mit dem Finanzinvestor eine Wachstumsstrategie, die im Wesentlichen auf der Stärkung des eigenen Vertriebsteams sowie auf strategischen Zukäufen basierte. Um geeignete Akquisitionsziele zu finden, wurden Kriterien zusammengestellt, die die potenziellen Targets nach Möglichkeit erfüllen sollten (siehe Grafik).
Das perfekte Ziel
In zahlreichen Workshops wurde eine Liste von interessanten Zielunternehmen entwickelt. Vom kleineren deutschen Mittelständler bis zu Konzerntöchtern schienen viele Kandidaten geeignet. In einer konzertierten Ansprache ermittelte das M&A-Team des Finanzinvestors die jeweilige Gesprächsbereitschaft der Eigentümer. Schnell kristallisierten sich drei Zielunternehmen heraus, bei denen ein Zukauf möglich erschien. Aus diesen drei wiederum ragte das finnische Tech-Tex-Werk des Ahlstrom-Munksjö-Konzerns heraus: Mit einem Umsatz von 30 Mio. EUR, dem Zugang zu neuen Märkten und Technologien sowie einem eigenen Vertriebsteam bot es offensichtlich die perfekte Voraussetzung, um Vitrulan auf eine neue Entwicklungsstufe zu heben. In einer dreimonatigen Due Diligence bestätigte sich dieser Eindruck, sodass Vitrulan nach kurzen Verhandlungen am 31. Dezember 2019 den erfolgreichen Zukauf des Standorts Mikkeli vermelden konnte. Mit der Akquisition gewann der Glasfaserweber Kompetenzen in der Verarbeitung von Carbonfasern und der Herstellung von Multiaxialgelegen und erhielt Zugang zu neuen, attraktiven Marktsegmenten wie dem Schiffbau und der Windenergie.
Herausforderung: Post-Merger-Integration
Die erfolgreiche Integration des Standorts Mikkeli gestaltete sich jedoch schwieriger als erwartet. Auf operativer Ebene lief die Verständigung hervorragend und die jeweiligen Technologien der beiden Unternehmen ergänzten sich sogar noch besser als erwartet. Die Integration der hochgradig angepassten IT-Umgebung eines finnischen Konzerns in die eher standardisierte SAP-Welt erwies sich jedoch als besondere Herausforderung – nicht zuletzt, weil der Konzern parallel zu diesem Projekt auch noch selbst eine Aktualisierung seiner IT-Landschaft vornahm. Zudem ließen die Corona-Maßnahmen Finnlands und Deutschlands weniger persönliche Interaktion zu, als für eine reibungslose Integration nötig gewesen wäre. Als Konsequenz ergaben sich Verzögerungen und Hindernisse, sodass nur durch eine konzertierte Aktion der Vitrulan-IT-Mannschaft, des erfahrenen neuen kaufmännischen Leiters und eines Integrationsexperten ein fristgerechter Projektabschluss erreicht werden konnte.
Heute, 16 Monate nach dem Erwerb des Standorts Mikkeli, ist Vitrulan als Unternehmensgruppe gut aufgestellt und verfügt über ein neues und zugleich erfahrenes Management. Innovationen stehen wieder im Fokus. Mit dem Zukauf und durch die neuen Produkte hat sich das Unternehmen neue Wachstumsfelder erschlossen – insbesondere im Tech-Tex-Segment, mit mehr technologischer Kompetenz, einem stärkeren Vertrieb und einem internationalen Fabriknetzwerk, das den Kunden einen optimalen Service bietet. Aus dieser Position der Stärke heraus wird Vitrulan weiter nach Partnerschaften und Zukaufmöglichkeiten suchen, um seine Aufstellung fortlaufend zu verbessern.
broder.abrahamsen@adcuram.de
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