„Die Bewerbungsprozesse sind oft zu kompliziert“

Beitrag von: Andreas Knoch
18. Juli 2022

Während Unternehmen auf den idealen Kandidaten warten, passiert vor allem eines: Es vergeht Zeit und die ist bekanntlich Geld. Nach Einschätzung von Headhunter Paul Taaffe mangelt es vielen Unternehmen bei der Personalsuche an Professionalität.

Herr Taaffe, die sogenannte Time-to-Hire ist in Deutschland in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Was läuft da schief?

Paul Taaffe: Die Ursachen für lange Einstellungsprozesse sind vielfältig. Ein Grund ist, dass Unternehmen un­geeignete Kanäle für die Kandidatenansprache nutzen und so die gewünschte Zielgruppe nicht erreichen. Oder die Stellenbeschreibung ist nicht eindeutig und die Kandidaten entsprechen nicht den Vorstellungen. Ein weiterer Faktor für den langsamen Bewerbungsprozess ist die Erwartungshaltung von Personalentscheidern, den idealen Kandi­daten zu finden. Sie haben klare Wünsche, welche Soft und Hard Skills ihr neuer Mitarbeiter mitbringen sollte. Dabei verpassen sie es, Bewerbern eine Chance zu geben, die nicht alle Anforderungen erfüllen, aber dringend benötigte Kompetenzen und großes Potenzial mitbringen. Häufig erkennen sie erst viel zu spät im Bewerbungsprozess, wie hinderlich ihr Perfektionismus ist.

Gerade auf C-Level-Ebene sollte man doch aber Professionalität bei der Personalbesetzung erwarten. Warum klaffen Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinander?

PT: Prozessveränderungen, gerade in großen Unternehmen, dauern. Das gilt besonders für den Personalbereich. Da hat sich in den vergangenen Jahren kaum etwas getan. Oft sind die Bewerbungsprozesse zu kompliziert. Viele Unternehmen unterschätzen zudem schlichtweg die Geschwindigkeit, in der die Bewerber agieren und entscheiden.

Wie ließe sich der Auswahlprozess besser gestalten?

PT: Der Selektionsprozess muss mit größerer Sorgfalt erfolgen. In der Praxis wird nach wie vor unterschätzt, was es kostet, wenn eine Besetzung schiefgeht. Wichtig ist auch, dass die Unternehmen mit offenen Karten spielen und die Situation nicht besser darstellen, als sie ist, um Top-Kandidaten zu finden. Ansonsten kommt es zu Enttäuschun­gen und Frustration.

Sind es eher die Unternehmen, die bei einem Mismatch die Reißleine ziehen, oder die Kandidaten?

PT: Es gibt beide Konstellationen. Ich kenne Beispiele, wo ein CFO einen sorgfältigen Auswahlprozess durchlief und am ersten Tag feststellen musste: das ist nichts für mich. Es ist eben ein großer Unterschied zwischen der Interviewsituation im Bewerbungsprozess, in der sich alle von ihrer besten Seite zeigen, und dem Arbeitsalltag. Im operativen Geschäft verhält man sich i.d.R. anders als in einer Interviewsituation. Ich empfehle daher grund­sätzlich mehrere Interviews: das erste zum Kennenlernen, das zweite mit dem Aufsichtsrat und dem CEO und das dritte mit zukünftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Bei der Besetzung von C-Level-Positionen kommen immer öfter auch psychologische Tests zum Einsatz. Was halten Sie davon?

PT: Ich halte davon sehr viel. Solche Tests müssen professionell gemacht werden, da gibt es noch Luft nach oben. Aber prinzipiell spricht nichts dagegen, auf diesem Weg mehr von einem Kandidaten in Erfahrung zu bringen. Viele Unternehmen verzichten aus Zeitgründen auf psychologische Tests – ein Fehler. Denn solche Tests zeigen Facetten des Bewerbers, die sich in einem normalen Interviewprozess nicht herausfinden lassen. Man lernt den Menschen besser kennen. Sie sollten deshalb Teil der Kandidaten-Due-Diligence sein. Ich war vor einigen Jahren selbst sehr nah an einer Vertragsunterschrift als CFO in einem Private-Equity-Unternehmen. Dann hatte ich noch ein Gespräch mit zwei Psychologen. Am Ende dieses Gesprächs sind beide Seiten zu dem Ergebnis gekommen, dass dieser Job nicht zu mir passt.

Die Besetzungen im Finanzressort sind im ersten Quartal dieses Jahres im Vergleich zu 2021 kräftig eingebrochen. Woran liegt das?

PT: Ein Jobwechsel ist immer mit einem Risiko verbunden. Dieses Risiko nimmt zu, wenn die Zeiten unsicher sind. Und mit dem Krieg in der Ukraine, der noch nicht überwundenen Corona-Pandemie, der Zinswende und den Inflationsschüben sind die Zeiten gerade so unsicher wie schon lange nicht mehr. Vor diesem Hintergrund wech­seln die Leute ihren Job nicht mehr so leichtfertig, wie das in wirtschaftlich und geopolitisch besseren Zeiten der Fall ist. Man schätzt, was man hat, und ist weniger bereit, neue Wege zu gehen. Hinzu kommt, dass auch auf C-Level-Ebene der Terminus Work-Life-Balance kein Fremdwort mehr ist. Und eine neue Stelle in einem neuen Unternehmen ist naturgemäß erst einmal mit mehr Arbeit verbunden. Das veränderte Umfeld und die neue Prioritätensetzung haben viele Unternehmen im Personal­management noch nicht akzeptiert.

Was heißt das für die Personalsuche?

PT: Das Beziehungsmanagement und die Nähe zu potenziellen Kandidaten werden immer wichtiger. Ein professionelles Netzwerk, von dem die Mitglieder etwas haben, das sie in ihrer Karriere weiterbringt, ist für einen erfolgreichen Recruiting-Prozess von Vorteil.

Foto: Finance People Solutions

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