Recruiting im Lockdown

Beitrag von: Ulrike Lüdke
14. Juli 2021

Unsichere Zukunftsaussichten und strenge Kontaktbeschränkungen haben in der Corona-Pandemie die Personalplanung in den Kanzleien ganz schön auf den Kopf gestellt. Wie hat die Corona-Pandemie die Spielregeln im War for Talents verändert? Wer hat von der Krise profitiert? Und wie gut funktioniert der digitale Recruiting-Prozess?

Wir haben lange nicht mehr so gute Be­werbungen erhalten wie im vergange­nen Jahr“, so beschreiben viele Kanz­leien die Recruiting-Situation in der Corona-Pandemie. Auch die Anzahl der Bewerbungen von Berufseinstei­gern habe durch die Corona-Krise zu­genommen, heißt es. Horrende Einstiegsgehälter, großzügige Benefits und attraktive Weiterbildungs­programme: Seit Jahren wird der Nach­wuchs von den Kanzleien umgarnt. Ab­solventen mit Prädikatsexamen können sich ihre Arbeitgeber i.d.R. aussuchen. Im vergangenen Jahr sah es dann so aus, als hätte sich der Markt gedreht. Verunsichert durch die Corona-Pande­mie verfielen viele Sozietäten erst ein­mal in eine Schockstarre. Vor allem in­ternationale Großkanzleien verhängten Einstellungsstopps, froren die Gehälter ein, kürzten Boni. Wissenschaftliche Mitarbeiter erhielten die Kündigung und Einstellungstermine wurden ver­schoben. Auch Unternehmen fielen als möglicher Arbeitgeber erst einmal aus.

Weniger Jobangebote und mehr Bewerbungen

Die ungewöhnliche Situation am Ar­beitsmarkt wussten insbesondere mit­telständische Kanzleien und speziali­sierte Boutiquen für sich zu nutzen, um im War for Talents aufzuholen. Nach einer Untersuchung zum Re­cruiting von Juristen des Magazins „Legal Tribune Online“ (LTO) vom Juni 2020 haben fast ausschließlich mittelgroße Kanzleien mehr Mitarbei­ter als vor der Krise eingestellt. Vor allem in den Bereichen Arbeitsrecht, Insolvenzrecht, Gesellschaftsrecht, Restrukturierungen und Banking rüs­teten die Kanzleien personell auf. Obwohl viele Recruiting-Maßnahmen zurückgefahren wurden, verzeichneten 40 Prozent der Kanzleien mehr Bewer­bungen als vor der Krise, geht aus der LTO-Untersuchung hervor. Bei Kanzlei­en, die ihre Recruiting-Aktivitäten nicht zurückfuhren, lag die Quote demzufol­ge sogar bei 55 Prozent.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine Umfrage der Karriereplattform für Juristen Talentrocket aus dem Ok­tober 2020. Demnach verzeichneten rund 60 Prozent der Arbeitgeber ei­nen leichten oder extremen Anstieg an Bewerbungen sowohl von wissen­schaftlichen Mitarbeitern und Refe­rendaren als auch von volljuristischen Vakanzen. Den überproportionalen Anstieg von Bewerbungen führen die Studienautoren vor allem darauf zu­rück, dass sich die Jobsuchenden wäh­rend der Corona-Krise bei deutlich mehr Arbeitgebern beworben hätten.

Zurückhaltung bei Top-Level-Kandidaten

Während die Anzahl der Bewerbungen insgesamt stieg, sank nach Beobachtun­gen von Kanzleien und Marktexperten die Bereitschaft hochqualifizierter Juris­ten, den Arbeitgeber zu wechseln. Die mittelständische Wirtschaftskanz­lei Sonntag & Partner hat seit März 2020 über alle Standorte hinweg 96 neue Mitarbeiter eingestellt – darun­ter auch viele Praktikanten und Be­rufseinsteiger. Mit einem Team aus 380 Experten bietet Sonntag & Partner Be­ratung in den Feldern Steuern, Recht und Wirtschaftsprüfung an. Kandida­ten mit Berufserfahrung seien seit Be­ginn der Pandemie deutlich zurück­haltender mit aktiven Bewerbungen und einem Wechselwunsch geworden als Absolventen und Berufseinstei­ger, konstatiert Oliver Kanus, Partner und Mitglied des Managementboards bei Sonntag & Partner. „Insbesonde­re in Beratungsbereichen, die Spezi­al-Know-how erfordern, lässt sich ein Rückgang an proaktiven Bewerbungen feststellen“, sagt Kanus.

David Schwab, Geschäftsführer von Clients & Candidates – spezialisiert auf die Vermittlung von Juristen im Mid- Level- und Partnerbereich sowie Unter­nehmensjuristen – erlebt dies aus der Perspektive des Headhunters: „Die po­tenziellen Kandidaten sind derzeit im Home Office für uns gut erreichbar, aber die Wechselbereitschaft unter den erfahrenen und spezialisierten Juristen hat abgenommen“, sagt Schwab. Zudem seien die Ansprüche der Kandidaten durch die Corona-Pandemie eher ge­stiegen. Das Thema Arbeitsplatzsicher­heit habe durch die Krise einen ganz neuen Stellenwert erhalten.

Corona-Gewinner Kanzlei-Mittelstand

„Die Unsicherheit in der Corona-Krise hat zu einer Werteverschiebung quer durch alle Karrierestufen geführt“, be­obachtet Carina Knipping von Talentro­cket. Die Frage, wie sicher ein Arbeits­platz sei, hätten sich Bewerber in der Vergangenheit nicht stellen müssen. „Der deutsche Kanzlei-Mittelstand hat bei den Bewerbern deutlich an Attrakti­vität gewonnen, weil er sich als krisen­sicherer Arbeitgeber erwiesen hat“, sagt Knipping. Auch der öffentliche Dienst sei deutlich beliebter geworden.

Inzwischen hat sich die Situation am Arbeitsmarkt für Juristen wieder weit­gehend normalisiert. In der Befragung von Talentrocket vom Herbst 2020 gab ein Großteil der Arbeitgeber an, 2021 wieder auf Vor-Corona-Niveau einstel­len zu wollen. 30 Prozent planten sogar deutlich mehr Einstellungen als im Vor­jahr oder strebten ein überproportiona­les Wachstum an.

Also ist im War for Talents bald alles wieder beim Alten? Da ist sich Knipping relativ sicher. Die Zahl der Nachwuchs­juristen mit zwei Staatsexamen sei seit der Jahrtausendwende um 40 Pro­zent gesunken. Allein im Staatsdienst müssten bis 2030 an die 10.000 Stel­len nachbesetzt werden – „das ist mehr als ein ganzer Jahrgang“, sagt Knipping. Gleichzeitig nehme der Bedarf an Fach­personal in Kanzleien, Rechtsabteilun­gen in Unternehmen und im öffentli­chen Dienst stetig zu.

Onboarding im Home Office

Nicht nur der Bewerbermarkt, sondern auch der Recruiting-Prozess selbst hat sich durch die Corona-Pandemie ver­ändert. Juristen-Messen und Inhouse- Recruiting-Veranstaltungen fielen aus oder wurden ins Netz verlagert. Vor­stellungsgespräche finden seit über ei­nem Jahr hauptsächlich per Videochat statt, auch das Onboarding der neu­en Mitarbeiter erfolgt weitgehend im Home Office.

Viele Kanzleien sind überrascht, wie gut das digitale Recruiting funktio­niert. Bei der Kanzlei GSK Stockmann kamen Videokonferenzen beim Aus­wahlverfahren früher nur vereinzelt zum Einsatz. Durch die Pandemie finden die Erstgespräche nun häufig digital statt. „Das virtuelle Kennenler­nen eignet sich gut, um einen ersten Eindruck zu erhalten und Informatio­nen auszutauschen“, sagt Inka La Ruf­fa, Leiterin des Bereichs Human Re­sources bei GSK Stockmann. Termine seien schneller möglich, da die Be­werber nicht extra anreisen müssten. Um letztlich aber eine Entscheidung zu treffen, ob man als Arbeitgeber und Kandidat zusammenpasse, finde das zweite Gespräch i.d.R. persönlich statt. GSK Stockmann lädt daher die Bewerber vor der finalen Entscheidung in das betreffende Büro ein, um einen Eindruck von der Kanzleiatmosphäre und Unternehmenskultur zu vermit­teln und – unter Einhaltung der Hy­gienevorschriften – Teile des Teams vorzustellen. La Ruffa geht davon aus, dass sich ein „gesunder Mix“ aus di­gitalen und persönlichen Auswahl­verfahren nach der Pandemie durch­setzen wird. „Corona hat uns gezeigt, wo virtuelle Formate helfen, aber auch, wo Grenzen sind.“ Die sieht La Ruf­fa auch beim Onboarding: Damit sich neue Mitarbeiter so schnell wie mög­lich als Teil des Teams fühlen, brauche es neben dem mobilen Arbeiten auch einen persönlichen Austausch.

Auch bei Sonntag & Partner sind die Er­fahrungen zweigeteilt: „Digitale Vorstellungsgespräche und virtuelles Onboarding funktionieren. Trotzdem fehlen dabei wichtige Eindrücke“, sagt Ta­mara Klotz, verantwortlich für den Bereich Recruiting und Personalmar­keting bei Sonntag & Partner. So fal­le es den Bewerbern schwerer, ein Bild von der Kanzleiatmosphäre, dem Team und den Räumlichkeiten zu be­kommen. Der Austausch werde auf beiden Seiten um einen Teil der Kör­persprache reduziert. „Allerdings sind Termine häufig flexibler und schnel­ler möglich, da sie von jedem Ort aus funktionieren“, so Klotz.

Veränderungen von Dauer

Durch den fehlenden Kontakt zu den neuen Mitarbeitern wird nach dem Ende des Lockdowns noch einiges an „Beziehungsarbeit“ aufzuholen sein. Die Bindung und die Identifikation von Mitarbeitern, die in den vergangenen zwölf Monaten neu integriert wurden, dürften durch die Corona-bedingte Ar­beit auf Distanz noch nicht so stark sein wie unter Arbeitsbedingungen ohne Kontaktbeschränkungen – trotz vieler kreativer Ansätze wie gemeinsa­mer digitaler Mittagessen und virtuel­ler Teamevents.

Knipping sieht das weniger kritisch: „Unsere Auftraggeber sagen, dass der Recruiting- und Onboarding-Prozess derzeit gut funktioniert.“ Nicht nur die Auswahl der Mitarbeiter, sondern auch die gesamten Arbeitsabläufe und Kom­munikationswege hätten sich in den vergangenen 18 Monaten geändert. Die Zusammenarbeit mit den Mandanten und im Team finde weitgehend digital statt. „Wir gehen davon aus, dass das auch nach dem Ende des Lockdowns so bleiben wird“, sagt Knipping. Dies wir­ke sich auch auf das Recruiting aus: Die Kanzleien könnten durch den aktuellen Digitalisierungsschub nun auch Mitar­beiter aus anderen Regionen anwerben, ohne dass diese umziehen müssten. Da die Mitarbeiter in Zukunft voraussicht­lich ohnehin vor allem per Videochat kommunizierten, vermittle das digitale Vorstellungsgespräch ein gutes Bild des Bewerbers.

Illustration: Stefanie Schwary

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