Wenn Sanierungen an Gefühlen scheitern

Beitrag von: Bastian Frien
28. Oktober 2021

Im Wirtschaftsleben gibt es wohl keine emotionaleren Momente als den Kampf ums Überleben eines Unternehmens. Das setzt alle Beteiligten unter Stress, der unbedingt professionell gemanagt werden muss.

Restrukturierungen sind Ausnahmesituationen – es geht um alles, Misserfolg führt in die Insolvenz. Das drohende Scheitern setzt alle Beteiligten unter Druck. Den spüren besonders die Gesellschafter und das Management, die oft zum ersten Mal einen Sanierungsprozess durchlaufen. Aber auch bei den erfahrenen Spezialisten wie Anwälten, Interim-Managern und Workout-Bankern liegen die Nerven immer wieder blank. Dass Sanierungen an Emotionen scheitern können, wissen alle Experten. In einem sehr offenen Gespräch im Rahmen der Reihe „Turnaround Tuesday“ unseres Schwester-Mediums FINANCE Think Tank haben drei versierte Sanierungsexperten aus dem Nähkästchen geplaudert.

Die emotionalsten Verhandlungspartner sind oftmals die Gründer oder die Gesellschafter der nächsten Generation. Unter großem psychischem Druck stehen aber auch die angestellten Manager, die oft für eine bestimmte Strategie stehen und etwa mit einem aggressiven Wachstumskurs Schiffbruch erlitten haben. Eigentümer und Topmanagement haben – zumindest gefühlt – am meisten zu verlieren, nämlich ihr Lebenswerk und ihr Vermögen oder ihre Reputation und ihre berufliche Existenz. Auch Betriebsräte geraten aus Wut über einerseits hohe Abfindungen für die Geschäftsführung und andererseits finanziell schlecht ausgestattete Transfergesellschaften für die Belegschaft mitunter in Rage.

Wer verliert am meisten?

Allerdings kann man auch ganz anders auf das Spiel schauen: In den Augen anderer Stakeholder sind die Unternehmen längst „Land unter“, der Wert auf null geschrumpft und das Management unrettbar desavouiert. Aus diesem Blickwinkel sind neben den Mitarbeitern die Finanziers – also vor allem die Banken – diejenigen, die am meisten Kohlen im Feuer und damit viel zu verlieren haben. Wenn Unternehmen in Schieflage geraten, wechseln bei den Banken die Ansprechpartner, nur wenige lassen den Vertrieb noch teilhaben. Zum Zuge kommen die Profis in den Sanierungsabteilungen, die bisher noch nicht mit dem Kunden gearbeitet haben. Doch das ist kein Garant für einen nüchternen Umgang: Oft fühlen sich Banken hinters Licht geführt, wenn sie etwa zwei Wochen nach Verlängerung einer Linie über Abweichungen informiert werden. In diesen Fällen beginnt die Zusammenarbeit mit den Restrukturierern in den Banken bereits mit Misstrauen.

Damit eine Restrukturierung nicht aus dem Ruder läuft, hilft die Erstellung einer emotionalen Landkarte. In Ergänzung zu den materiellen Interessen trägt sie den Befindlichkeiten der Beteiligten Rechnung. Dies vermeidet, dass in einer ohnehin angespannten Verhandlungssituation ein Einzelner mit „Basar-Mentalität“ jede Aussicht auf einen Kompromiss zerstört, und sorgt dafür, dass bis zum Moment der Einigung wenig schiefläuft und niemand sein Blatt überreizt.

Möglichst rasch und belastbar auf den Punkt zu kommen lautet die Devise. Es geht nicht um die Formulierung von Maximalforderungen. Damit kommt ohnehin niemand durch. Einzige Ausnahme: Manchmal stellen sich kleine Gläubiger systematisch quer und verlangen, mit einer kompletten Bedienung der Schulden aus ihrer Blockadehaltung herausgekauft zu werden. Diese Akkordstörer können nicht nur die Verhandlungsatmosphäre vergiften, sondern sorgen auch bei allen anderen für ein starkes Ungerechtigkeitsgefühl. Die Störer komplett auszuzahlen tut allen weh, kann aber trotzdem für den Gesamtprozess sinnvoll sein.

Wer hört den Schuss?

Timing ist ein weiterer Erfolgsfaktor für die Restrukturierung. Das fällt vor allem den Banken nicht immer leicht. Sie haben die größte Sanierungserfahrung, aber den geringsten Einblick. Banken fällt es schwer einzuschätzen, wo die einzelnen Stakeholder emotional und mit ihren materiellen Interessen stehen. Die Gesellschafter und das Management haben in der frühen Phase der Verhandlungen oft noch gar nicht begriffen, wie bedrohlich die Krise für sie und ihr Unternehmen ist. Darum kommen Banken oft mit einer raschen Lösung, die allen Beteiligten einiges abverlangt, wozu diese aber emotional noch gar nicht bereit sind.

Solche Enttäuschungen können bei den Bankern, die ihrerseits intern Rede und Antwort stehen müssen, zu großer Anspannung führen. Eine professionelle Ausbildung für Verhandlungen in schwierigen Situationen erhalten die Sanierungsbanker nicht, sie setzen vor allem auf Erfahrung – auf die eigene oder auf die der Kollegen. Vorgezimmerte Lösungen funktionieren selten, und immer wieder müssen die Banken erkennen, dass die Gemengelage nicht so simpel ist wie ursprünglich vermutet.

Das leidige Thema Gerechtigkeit

Dabei verfolgen die Banken eigentlich nur ein legitimes Ziel: Sie wollen nicht die Einzigen sein, die bei einer Sanierung Federn lassen. Das Thema Gerechtigkeit ist Dreh- und Angelpunkt einer Einigung. Dummerweise ist dieser Begriff emotional besetzt und schwer zu definieren. Gern wird der Begriff „Gleichbehandlungsgrundsatz“ aus der Schublage gezogen und wie ein juristisches Schwert gezückt – dabei gibt es kein Gesetz, das Gleichbehandlung vorschreibt. Oft verschanzen sich die Beteiligten aber hinter diesem Wortungetüm, das am Ende nur ein Gerechtigkeitsgefühl umschreibt.

Dahinter steckt aber eine wichtige Frage: Wer trägt die Last der Sanierung? Mitunter müssen die Banken ein etwas größeres Stück nehmen – als z.B. Schuldschein- oder Anleihegläubiger –, um eine unkomplizierte Lösung zu ermöglichen. Das fühlt sich nicht gut an, ist aber notwendig für den Sanierungserfolg. Gleichbehandlung ist auf jeden Fall der falsche Ansatz: Eine „faire Lastenverteilung“ (fair share of burden) trifft es deutlich besser – auch wenn das natürlich nie exakt definiert werden kann.

Und je nach Interessenlage wird ganz unterschiedlich auf die Sanierungsbeiträge geschaut. Schon die Banken sind keine homogene Gruppe. Hier gilt es, zu Beginn die Gefechtslage zu klären; Kreditsumme, Laufzeiten und Besicherungen sind oft sehr unterschiedlich. Alle schauen immer auf die Bank mit dem größten Risiko. Immerhin sind Banken in aller Regel am Going Concern interessiert, weil sie noch etwas zu verlieren haben.

Noch komplizierter wird es mitunter bei Kunden und Lieferanten. Bei den Kunden sind die Abhängigkeitsverhältnisse sehr unterschiedlich. Ein leicht austauschbarer Automobilzulieferer darf auf wenig Unterstützung hoffen, ein unersetzlicher dagegen hat erst einmal gute Karten. Allerdings zeigt sich oft die grundverschiede Incentivierung von Risikomanagern, Einkäufern und dem Verantwortlichen für die Produktion – auch hier muss die Gefechtslage geklärt werden, das Ringen kann sehr emotional und eine Lösung kompliziert werden.

Wort halten und Fehden vermeiden

Neben Gerechtigkeit und persönlichen Interessen geht es immer auch um Vertrauen. Am Ende hoffen alle Beteiligten, dass eine Bank mit viel Erfahrung in den Lead geht und die Kunden rasch eine klare Position aufbauen, damit es eine belastbare Ausgangslage gibt. Dazu muss natürlich auch das Unternehmen selbst beitragen. „Talk the walk and walk the talk“ lautet die Aufgabe für die operativen Restrukturierer. Talk the walk: In-formiere alle Stakeholder, wohin es gehen soll und sprich auch die Fallstricke an. Walk the talk: Setze alles genauso um wie angekündigt, komme nicht permanent mit neuen Wahrheiten und zaubere keine neuen Themen aus dem Hut.

Ohne Verhandlungsgeschick kommt keine Restrukturierung aus. Das schließt auch Druck auf die Beteiligten ein, ist aber stets eine Gratwanderung. Der Unterschied zwischen einer Warnung und einer Drohung ist nicht nur semantisch fein, sondern muss auch gut kommuniziert werden: Nüchtern zu skizzieren, was ohne Einigung unweigerlich passieren wird (im Idealfall von einem Gutachten Dritter gestützt), kann alle wieder auf das gemeinsame Ziel einschwören und auch als ungerecht empfundene Zugeständnisse ermöglichen.

Und schließlich geht es auch schlicht darum, sich benehmen zu können. Wer das nicht kann, hat am Verhandlungstisch nichts verloren. Einfach mal einen Protagonisten aus dem Spiel zu nehmen hat emotional schon Wunder bewirkt. Das gilt nicht nur für Gesellschafter und Management – auch in der recht kleinen Restrukturierungsszene gibt es große Egos und manch eine Konstellation ist so belastet, dass man sie am besten vermeidet.

Immer wieder sind Verhandlungen verkantet, weil nur die Unterschiede betont und regelrechte Stellungskriege aus den Schützengräben geführt werden. Dann geht es darum, nicht die Differenzen, sondern die bereits erzielte Einigkeit herauszuarbeiten und eine gemeinsame Richtung festzulegen. Mitunter hilft es auch, einfach mal den Tisch zu verlassen und eine Sitzung vorzeitig zu beenden. Bewährt hat sich auch die Praxis des „Nichtgesprächs“: ein informeller Austausch am Telefon zu zweit, um Spannung herauszunehmen. Manch einer verrennt sich emotional und kommt vor Publikum nicht mehr aus seiner Ecke.

In einer Restrukturierung gibt es alles außer Zeit und Geld. Berater nicht mehr als notwendig zu beschäftigen, schont den Geldbeutel. Der richtige Umgang mit den Emotionen der Beteiligten reduziert die Zahl der Nebenkriegsschauplätze und ermöglicht den Fokus auf das Ziel, das ja alle eint. Starke Gefühle sind in der Restrukturierung unvermeidbar – darum müssen sie erkannt und gemanagt werden. Denn eine gescheiterte Sanierung kennt keine Gewinner.

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