Die Zeit für eine strategische Neuausrichtung ist jetzt

Beitrag von: Ulrike Lüdke
6. April 2022

Selbst wenn der Krieg zwischen Russland und der Ukraine beendet ist, werden die Auswirkungen noch lange spürbar sein. Worauf müssen sich Unternehmen einstellen? Und wie wirkt sich der Konflikt auf die Finanzierung und das Transaktionsgeschäft aus? Jan-Erik Gürtner, Daniel Jürgenschellert, Robert Leonhardt und Andre Waßmann von Helbling Business Advisors geben eine Einschätzung und raten, schon jetzt für die Zeit nach dem Krieg zu planen.

Wie stark die Unternehmen von dem Krieg und den Sanktionen betroffen sind, hängt vor allem vom Geschäftsmodell ab. Unternehmen der „Old Economy“, d.h. aus dem Maschinenbau, dem Automotive-Bereich, der elektronischen Fertigung und aus der Baubranche haben es aktuell besonders schwer. Sie sind z.T. gleich von drei Seiten unter Beschuss: operativ, finanziell und strategisch.

Im operativen Bereich haben vor allem Betriebe zu kämpfen, die auf Rohstoffe oder Vorprodukte aus der Ukraine oder aus Russland angewiesen sind. Neben Saatgut, Weizen, Öl und Gas fehlen auch Metalle wie Aluminium, Kupfer und Zink sowie Seltene Erden, die bspw. für die Batterieherstellung notwendig sind. An verschiedenen Stellen hat dies bereits dazu geführt, dass die Produktion kurzfristig heruntergefahren werden musste.

Die Warenverknappung führt zu Inflation. Inflationstendenzen und steigende Energiepreise gab es auch schon im vergangenen Jahr. Doch durch den Russland-Ukraine-Krieg und die Sanktionen spitzt sich die Lage an den Energiemärkten noch einmal deutlich zu. Darunter leiden vor allem Unternehmen aus energieintensiven Branchen. Für sie ist die fehlende Absicherung der Strom- und Gaspreise sowie die unzureichende oder zeitverzögerte Preisüberwälzung auf ihre Kunden ein erhebliches Problem. Waren von den Preissteigerungen bislang nur einzelne Produktgruppen betroffen, kommen sie nun direkt bei den Verbrauchern an, d.h. der Kaufkraftverlust geht in die Breite.

Sanktionen führen zu Wertberichtigungen

Unternehmen mit Russland- oder Ukraine-Geschäft müssen nicht nur für eine ungewisse Zeit mit Umsatzeinbußen rechnen, sondern sind u.U. auch gezwungen, Forderungen abzuschreiben. Ist der Wertverzehr substanziell, kann dies zu einem negativen Eigenkapital führen mit der Konsequenz, dass sich das Unternehmen vor seinen Banken rechtfertigen und eine Fortführungsprognose erstellen muss.

Zusätzlich zur Aktivseite wird die Passivseite belastet, wenn sich im Gesellschafterkreis Shareholder befinden, die von den Sanktionen gegen Russland betroffen sind. In diesem Fall ist der Gesellschafterkreis nur bedingt handlungsfähig. Zudem sind die Unternehmen, die Tochtergesellschaften oder Niederlassungen in Russland haben, direkt von den Gegensanktionen betroffen. In den vergangenen Jahrzehnten haben viele deutsche Unternehmen auf den „Wandel durch Handel“ gesetzt und massiv in Russland investiert. Ihnen droht nun die Verstaatlichung ihrer Beteiligungen.

Steigende Finanzierungskosten und Planungsunsicherheit

Mittelständler, bei denen die Refinanzierung ansteht, müssen zum einen ihre Liquidität gut planen und sich zum anderen auf Zinserhöhungen einstellen. Vereinzelt haben die Banken bereits begonnen, aufgrund des Russland-Ukraine-Krieges Refinanzierungen um zwei bis drei Monate nach hinten zu verschieben. Hinzu kommt, dass die Finanzinstitute ein enges Tracking der Liquidität in einem 2-Wochen-Turnus fordern. Die zusätzliche Berichtspflicht beansprucht die in vielen Fällen ohnehin knappen personellen Ressourcen, diese fehlen dann an anderer Stelle. Für Unternehmen mit schlechterer Bonität wird der Kapitalmarktzugang zunehmend schwieriger werden.

Restrukturierungen im Teufelskreis

Ist eine Restrukturierung notwendig, wird häufig ein IDW-S6-Gutachten gefordert. Im aktuellen Marktumfeld, in dem einige Branchen nur auf Sicht fahren können, weil der Auftragsbestand Unsicherheit und großen Schwankungen unterliegt, ist eine auf zwei bis drei Jahre angelegte Sanierungsplanung jedoch nicht möglich. Diese benötigen die Banken aber für ihre Finanzierungszusage. Es wird spannend zu sehen, wie der Regulator auf diese Situation reagiert. Ein möglicher Ansatz wäre die Verkürzung der vorgeschriebenen Planungszeiträume. Allerdings wäre dies mit einem enormen administrativen Aufwand verbunden, da neue Gutachten erstellt werden und die Finanziers nachjustieren müssten.

Mehr Insolvenzen

Möglicherweise wird der Gesetzgeber die Corona-Hilfsmaßnahmen noch einmal verlängern. Tendenziell wird sich die Zahl der Insolvenzen aber wieder auf dem Vor-Corona-Niveau einpendeln. Einige Geschäftsmodelle werden die nächsten ein bis zwei Jahre nicht überleben, für die anderen wird sich ein Käufer finden. Für jedes Asset gibt es einen Preis, wenn eine nachvollziehbare Zukunftsperspektive aufgezeigt werden kann.

Transaktionsrisiko steigt

Aktuell sind die Auswirkungen auf das Transaktionsgeschäft noch nicht in dem erwartetem Maß spürbar, insbesondere bei strategischen M&A-Projekten, die lange im Voraus geplant werden. Es ist aber damit zu rechnen, dass viele Transaktionen aufgrund der politischen Lage auf Eis gelegt oder gar nicht erst angegangen werden. Die Unsicherheit führt zudem zu einer veränderten Risikobewertung, die sich in den Kaufpreisen niederschlägt, je nachdem wie stark das Geschäft von dem Konflikt und den Sanktionen betroffen ist. Der Konflikt wird voraussichtlich auch einen negativen Einfluss auf die Aktivität und damit Anzahl interessierter Bieter für ein Target haben, was wiederum auf die Bewertung drückt.

Zusätzlich werden sich die Stagflationstendenzen und die erwartete Zinswende in Europa negativ auf das M&A-Geschäft auswirken. Andererseits könnte die aktuelle Situation die Unternehmen veranlassen, Geschäft zuzukaufen oder abzustoßen, um die Wertschöpfungskette vom Russland-Geschäft unabhängig zu machen.

Heute schon an morgen denken

Die Hauptschwierigkeit für die Unternehmen besteht derzeit darin, sich auf die aktuelle Lage einzustellen und gleichzeitig für die Zukunft zu planen. Derzeit bemühen sich die Unternehmen, erst einmal Transparenz zu schaffen, ergreifen Sicherheitsmaßnahmen und stopfen Löcher. Die meisten haben noch Lieferrückstände aus dem vergangenen Jahr und verfügen über ausreichend Liquidität. Doch der Cocktail aus Warenknappheit, hohen Energiepreisen, Steigerungen bei den Personalkosten und steigenden Zinsen birgt das Potenzial einer Rezession bereits in diesem oder im kommenden Jahr.

Unternehmen sollten sich jetzt mit ihrer Finanzierungsstruktur auseinandersetzen und alternative Finanzierungsformen prüfen, die evtl. etwas teurer, dafür aber ein weniger enges Covenants-Gerüst haben. In schwierigen Zeiten sind bilaterale Kreditlinien kein probates Mittel, da einzelne Finanzierer zu leicht die Kreditlinien kündigen können. Auch das Beteiligungs- und Produktportfolio sowie die damit verbundenen Prozesse gehören auf den Prüfstand. Der Transformationsdruck auf einige Branchen ist durch die aktuelle Krise noch größer geworden. Es ist daher wichtig, dass die Unternehmen aus ihrem derzeitigen Aktionismus herauskommen, ihre Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten überdenken und ihre Strategie anpassen. Nur so werden Strukturen geschaffen, mit denen sie den Herausforderungen durch Digitalisierung, ESG, Fachkräftemangel, Cyberkriminalität und nicht zuletzt zukünftige Krisen begegnen können.

Foto: 123rf.com/sergioz

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