Wirtschaftsprüfung in Zeiten von Corona

Beitrag von: Ulrike Lüdke
20. Mai 2020

Die Corona-Pandemie stellt die Wirtschaftsprüfungsunternehmen vor neue Herausforderungen. Gernot Hebestreit, Vorstand bei Warth & Klein Grant Thornton, über Prüfungshemmnisse und die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Branche.

Professor Hebestreit, die meisten Wirtschaftsprüfer waren seit dem Ausbruch von Corona nicht mehr bei ihren Mandanten. Wie überbrückt die Wirtschaftsprüfung derzeit die Hindernisse, die sich daraus ergeben?

Gernot Hebestreit: Wir haben keine Prüfungshemmnisse aus der Corona-Pandemie, weil uns vielfältige technische Möglichkeiten für die Begleitung unserer Mandanten bei externem Zugriff zur Verfügung stehen. Über virtuelle Datenräume können wir zusammen mit unseren Mandanten in Echtzeit den Prüfungs- oder Projektfortschritt verfolgen und Dokumente teilen. Ein Großteil der Kommunikation läuft zudem über Online-Konferenzen. Diese Lösungen haben wir auch schon vor Corona eingesetzt – wenn auch nicht in diesem Umfang. All das reicht aus, um die Prüfungen durchzuführen und in gleicher Qualität und ohne Verzögerung zum Abschluss zu bringen. Mehr Schwierigkeiten bereiten uns Fragestellungen, bei denen es um die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Unternehmen geht.

Wie schwierig sind die Diskussionen mit Ihren Mandanten beim Thema „Going Concern“?

GH: Dies hängt natürlich immer von der jeweiligen wirtschaftlichen Lage des Mandanten ab. Vor allem die Abgrenzung, ob die Ursachen für die aktuellen wirtschaftlichen Schwierigkeiten bereits am Abschlussstichtag gegeben waren oder Corona-bedingt erst danach eingetreten sind, stellt eine Herausforderung dar. Insgesamt sind es keine einfachen Diskussionen, insbesondere wenn es unterschiedliche Wertungen der Lage gibt.

Wie verschaffen Sie sich derzeit einen Überblick über die Existenz und Werthaltigkeit der Lagerbestände?

GH: Das ist derzeit bei neu beginnenden Prüfungen eine unserer größten Herausforderungen. Wir können eine physische Inventur in der Regel nicht ersetzen – auch nicht mit dem Einsatz von Drohnen. Denn es besteht die Gefahr von Manipulationen, da wir immer nur einen begrenzten Ausschnitt sehen und uns keinen Gesamteindruck verschaffen können. Wir setzen hier eher auf die Möglichkeit der nachgelagerten Inventur und warten ab, bis die Kontaktbeschränkungen gelockert werden.

Wo lässt sich nur schwer auf persönlichen Kontakt verzichten?

GH: In dem Wirtschaftsprüfer-Mandanten-Verhältnis spielt Vertrauen bei der abschließenden Bewertung schwieriger Sachverhalte eine große Rolle. Vor allem bei neuen Mandanten, die man noch nicht so gut kennt, ist der persönliche Kontakt daher sehr wichtig. Darüber hinaus lassen sich bestimmte Themen im direkten Dialog besser erörtern. Das gilt vor allem für Familienunternehmer, bei denen das Unternehmen von der Person des Unternehmers und seiner Familie nicht zu trennen ist.

Hat die Corona-Krise einen beschleunigenden Effekt auf die Digitalisierung der Wirtschaftsprüfung?

GH: Die Bereitschaft der Mitarbeiter, an Digitalisierungsprojekten konstruktiv mitzuwirken, ist durch Corona sicherlich gestiegen. Hierdurch konnten wir einige Digitalisierungsprojekte schneller als geplant umsetzen. Dennoch sehe ich den Digitalisierungsprozess weitgehend unabhängig von der Pandemie. Die Umsetzung und Begleitung der Digitalisierung ist eine unserer strategischen Prioritäten. Corona hat daran nichts geändert, sondern die Notwendigkeit einer zügigen Umsetzung der Digitalisierung befördert.

Lässt sich schon absehen, wie stark sich die Wirtschaftskrise auf die Ertragssituation der Wirtschaftsprüfungsunternehmen auswirken wird?

GH: Die negativen Auswirkungen der Corona-Krise auf die Prüfungs- und Beratungsgesellschaften zeichnen sich bereits ab. Allerdings muss man die unterschiedlichen Bereiche etwas differenziert betrachten: Im Transaktionsgeschäft ist es sehr ruhig, da derzeit viele Unternehmenskäufe und -verkäufe zurückgestellt werden. Ebenso spüren wir im klassischen Projektgeschäft und in bestimmten Bereichen der Rechtsberatung eine gewisse Zurückhaltung. Dagegen sind das laufende Prüfungs- und Steuerberatungsgeschäft sowie unsere Geschäftsbereiche Business Process Solution und Private Finance kaum betroffen. Auf der Beratungsseite unterstützen wir derzeit viele Unternehmen bei der Beantragung von Corona-Hilfen. Zudem ist zu erwarten, dass eine Restrukturierungs-, Sanierungs- und Insolvenzwelle auf uns zurollt. Wenn man wie wir eine ausgewogene Mischung der Geschäftsbereiche hat, dann halten sich die wirtschaftlichen Auswirkungen noch in Grenzen. Die Frage ist: Wie sieht die Auslastung im Sommer und darüber hinaus aus? Das können wir derzeit noch nicht absehen. Wenn es in den nächsten drei bis sechs Monaten im Transaktions-, Projekt- und Beratungsgeschäft weiterhin eine starke Zurückhaltung gibt, werden auch wir das massiv spüren.

Erwarten Sie Entspannung im War for Talents?

GH: Stand heute gehen wir davon aus, dass es bald zu einer Normalisierung des Wirtschaftslebens kommen wird und wir dann sicherlich wieder vermehrt einstellen werden. Der Konkurrenzkampf um junge Talente wird sich meines Erachtens fortsetzen.

Verschafft die Corona-Pandemie dem Home Office im Bereich Wirtschaftsprüfung den Durchbruch?

GH: Heutzutage verbringen die Wirtschaftsprüfer nicht mehr einen Großteil ihrer Arbeitszeit beim Mandanten, sondern im Büro. Eine teilweise Verlagerung der Tätigkeit ins Home Office ließe sich daher relativ einfach umsetzen. Doch nicht nur im Bereich Wirtschaftsprüfung, sondern generell wird das Arbeiten von zu Hause mehr zum Einsatz kommen, weil es die Familie und den Beruf besser in Einklang bringt. Allerdings müssten wir dann auch unsere Raumkonzepte überdenken, weil viel weniger Bürofläche benötigt wird.

Foto: WKGT

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